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Die Diktatur der Raffkes #37353
24/03/2005 09:32
24/03/2005 09:32
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Tunesien wird als liberales Urlaubsland wahrgenommen. Die tunesische Journalistin Sihem Bensedrine kritisiert die mafiösen politischen Strukturen und sieht Reiseveranstalter in der Pflicht, den touristischen "Code of Ethics" in ihrem Land umzusetzen
INTERVIEW ROBERT B. FISHMAN
taz: Frau Bensedrine, warum wissen so wenige Deutsche über die repressiven politischen Zustände in Tunesien Bescheid, obwohl es ein beliebtes Reiseziel der Deutschen ist?

Sihem Bensidrine: Man verkauft den Touristen ein heiles, problemfreies Produkt. Tunesien investierte sehr viel in seine Imagepflege. Ich und andere Oppositionelle, wir führen zusammen mit amnesty international, kritischen Journalisten und Reporter ohne Grenzen einen regelrechten Krieg um die Wahrheit. Wir versuchen darüber zu informieren, dass Tunesien, aber auch viele andere Länder, die sich als heile Reisewelten darstellen, für die Einheimischen ein Gefängnis sind.

In Deutschland gilt Tunesien als das liberalste und weltoffenste unter den arabischen Ländern. Stimmt dieses Bild denn überhaupt nicht?

Wir haben in Tunesien einen recht hohen Bildungsstand, gebildete Jugendliche, eine relativ gute Gesundheitsversorgung. Aber das ist nichts, was Präsident Ben Ali dem Land gebracht hätte. Schon 1956 haben wir die Frauenrechte erstritten. Die allgemeine Schulpflicht gilt seit 1960 - für Jungen und für Mädchen. Auch die Infrastruktur für das Gesundheitswesen stammt aus dieser Zeit. Aber das ist doch kein Grund, dass man uns unsere Freiheit vorenthält. Es ist paradox: Die tunesische Diktatur instrumentalisiert den sozialen Fortschritt, den wir erreicht haben, gegen uns.

Und wie sehen Sie Tunesien im Vergleich zu den anderen arabischen Ländern?

Mit Saudi-Arabien würde ich keinen Vergleich wagen, mit Libyen auch nicht. Aber die Marokkaner, Algerier, Ägypter haben mehr Freiheiten, als wir in Tunesien, viel mehr. Dort gibt es mehr Pressefreiheit, mehr Versammlungsfreiheit.

Wer könnte Sie von Europa aus wie im Kampf für die Menschenrechte in Tunesien unterstützen?

Den meisten Einfluss hätten die großen Reiseveranstalter. Die Regierungen der Reiseländer - nicht nur Tunesiens - haben Angst vor der wirtschaftlichen Macht der Reiseveranstalter. Man könnte die Regierung zum Beispiel mit einer Kampagne unter Druck setzen, damit sie die ethischen Vereinbarungen, die es im internationalen Tourismus ja gibt, wirklich beachten. Dazu müsste man den Reiseveranstaltern konkrete Vorschläge vorlegen: zum Beispiel einen Solidaritätsfonds für die Opfer der Unterdrückung. In einen solchen Fonds könnten die Veranstalter vielleicht 0,0001 Prozent der Einnahmen aus dem Tourismus in dem jeweiligen Land einzahlen. Das würde nicht nur dem Image der Diktatur schaden, sondern auch Druck auf die jeweiligen Regierungen ausüben. Helfen würde meiner Meinung nach auch ein Ranking der Freiheit in unterschiedlichen Ländern. Das könnte z. B. die Welttourismusorganisation WTO machen. Sie könnte ihre Bewertungen nach den Vorschlägen der Menschenrechtsorganisationen in den jeweiligen Ländern vornehmen.

Welche Argumente haben die Reiseveranstalter überhaupt, um von Regierungen die Achtung der Menschenrechte zu fordern?

1999 hat die Welttourismusorganisation in Santiago de Chile offiziell einen Code of Ethics, also ethische Standards für den Tourismus, verabschiedet. Diese Standards binden die Reiseveranstalter wie ein Gesetz. Das sind nicht irgendwelche Vorschläge, sondern verbindliche Festlegungen. Damit haben wir ein Instrument. Nun kommt es darauf an, diese auch umzusetzen.

Man kann ja viele ethische Regeln verabschieden. Die Frage ist: Wer achtet darauf, dass Regeln eingehalten werden? Welche Sanktionen gibt es?

Es stimmt, dass es keine Sanktionen gegen diejenigen gibt, die sich nicht an den Ethikcode halten. Die Medien müssen darüber berichten, wenn sich Regierungen und Reiseveranstalter nicht an die Bestimmungen halten.

Läuft denn ein Tourist, der die politische Situation in Tunesien anspricht, Gefahr, Probleme zu bekommen oder verhaftet zu werden?

Touristen gehen kein großes Risiko ein. Schlimmstenfalls setzt sie die Polizei in das nächste Flugzeug und schickt sie nach Hause. Da gehen die Menschen in Tunesien ganz andere Risiken für die Freiheit ein: Folter, Trennung von der Familie, Gefängnis. Im Vergleich dazu ist das Risiko, nach Hause geschickt zu werden, nicht groß.

Sprechen die Menschen in Tunesien offen über ihre Schwierigkeiten und die politische Situation oder vermeiden sie diese Themen lieber, aus Angst vor Repression?

Die Leute haben Angst. Bevor sie über Politik sprechen, schließen sie die Fenster und schalten die Handys aus. Den Touristen erzählen sie, dass alles in Ordnung ist. Es dauert seine Zeit, bis man das Vertrauen der Menschen gewinnt. Aber wenn das Vertrauen da ist, erzählen die Tunesier gerne und viel - solange kein Polizist in der Nähe ist. Drei Viertel der Polizisten bei uns sind in Zivil. Eigentlich reicht es, wenn man sich als Tourist vor der Reise mit den Problemen im Land beschäftigt hat und man sich dann auf sein Gefühl verlässt. Dann findet man einen guten Weg.

Welche Idee oder Ideologie steht hinter der Diktatur Ben Alis?

Keine. Den Machthabern geht es nur darum, möglichst viele öffentliche Ressourcen für die Familie Ben Ali abzuzweigen. Das ist Korruption und die Anhäufung öffentlicher Reichtümer auf den Konten der regierenden Clique. Das ist ihr einziges Ziel. Wir haben eine mafiöse Diktatur.

taz Nr. 7595 vom 19.2.2005, Seite 30, 180 Zeilen (Interview), ROBERT B. FISHMAN

Beim Stöbern drüber gestolpert - fand es interessant genug, es hierher zu bringen.

Re: Die Diktatur der Raffkes #37354
24/03/2005 09:49
24/03/2005 09:49
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Karmoussa Offline OP
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Karmoussa  Offline OP
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und passend dazu - sogar ziemlich frisch - noch das hier:

Dies ist ein Dokument der Heinrich-Böll-Stiftung.


Präsentation des Human Rights Caucus
Forderungen: Menschenrechte wieder ins Zentrum stellen, Tunesien weiter unter Druck setzen

von Markus Beckedahl
17. Februar 2005. Der Menschenrechts-Caucus hat heute eine dreistündige Veranstaltung durchgeführt. Der Raum war fast voll und das Interesse gross. Das war nicht immer so in den letzten drei Jahren, allerdings ist das Thema Menschenrechte im WSIS-Prozess aktueller denn je. Schuld daran ist Tunesien, Gastgeber des zweiten Gipfeltreffens im kommenden November. Tunesien ist nämlich nicht nur das sonnige und billige Urlaubsland auf der anderen Seite des Mittelmeeres, es ist zudem eine Diktatur, in der Menschenrechte mit Füssen getreten werden.
Eigentlich war geplant, alle Vorbereitungskonferenzen in Tunesien abzuhalten. Die erste PrepCom fand auch im vergangenen Jahr dort statt, allerdings geriet das ganze zu einem kleinen Desaster. Bus-weise wurden “Tunesiens zivilgesellschaftliche Vertreter” zu den Civil Society - und Human Rights - Meetings gekarrt, die alte “K-Gruppen-Strategien” anwandten, um zu stören und Menschenrechtler zu bedrohen. Klar, dass das keine Vertreter von Non-Governmental-Organisations waren, sondern “Governmental Organisations", denn unabhängige NGOs sind fast nicht zugelassen. Viele Regierungsvertreter anderer Nationen erkannten da zum ersten Mal, dass an der Kritik der internationalen Zivilgesellschaft am Austragungsort Tunesien etwas dran ist. Es ist bezeichnend, dass der erste tunesische WSIS-Beauftragte ein ehemaliger General war, der sich vieler Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hat. So findet die Prepcom2 nun also in einem sicheren Gebiet statt.

Menschenrechte im WSIS-Prozess

Rikke Frank Joergensen vom dänischen Institut für Menschenrechte, der dänischen NGO DigitalRights.dk und Co-Vorsitzende des Human Rights Caucus gab einen Überblick über Menschenrechte im WSIS-Prozess. Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit spielen nach wie vor eine Schlüsselrolle für die internationale Zivilgesellschaft. Und nach wie vor ist es schwierig, von den eher technokratischen Diskussionen den Akzent auf die Menschenwürde zu verlagern. Gerade der Link zwischen der Entwicklung der dritten Welt und den Menschenrechten ist aber weiterhin bedeutend und muss verstärkt werden. Gleiches gilt für die Finanzierungsdebatten. Anstatt darüber zu diskutieren, ob alle die bald 60 Jahre alte allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN gut finden (viele Staaten tun dies nicht, wie China, Tunesien, Pakistan, …) müssten Menschenrechtsstandards für das digitale Zeitalter ausgebaut werden, so Rikke Frank Joergensen.

Die WSIS-Abschlussdeklaration weist viele Missstände auf. Arbeitsrechte und Prinzipien der Nicht-Diskriminierung kommen kaum vor und der Bereich Datenschutz / Privacy ist viel zu kurz gekommen. Alle Arbeitsdokumente konzentrieren sich auf Infrastruktur-Fragen, die hauptsächlich die Privatwirtschaft und Regierungen interessieren.

Rikke Frank Joergensen sprach auch über den Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Internet Governance, einem Hauptthema der zweiten PrepCom. Journalisten gegenüber sei das Thema schwer zu vermitteln, es sei einfacher über Folterungen zu reden, als über eine nicht greifbare Überwachung des Netzes. Aus Menschenrechtssicht müsste das Endresultat sein, dass weltweit Menschen unzensiert und nicht überwacht kommunizieren können. Aber: “Wir müssen sicherstellen dass wir nicht rückwärts rutschen", sagte sie.

....

Das Thema Tunesien führt wieder zu Unruhe

Anschliessend redete Mokhtar Trifi, Präsident der Tunesischen Menschenrechtslige. Viele Kritiker der Diktatur werden in Tunesien für ihre freie Meinungsäusserung im Internet als Terroristen von Al Quaida diffamiert und für das online-stellen von Dokumenten ins Gefängnis gesteckt. Bücher werden zensiert (auf einem Treffen mit der EU-Präsidentschaft berichtet ein tunesischer Professor, dass er nicht einmal den katholischen Katechismus aus dem Ausland bestellen durfte), Kritiker des Präsidenten ben Ali werden ins Gefängnis gesteckt. Die weltweite Aufmerksamkeit, die Tunesien durch den WSIS-Gipfel bekommt, muss daher dazu genutzt werden, das Regime zu mehr Offenheit zu zwingen. Sonst dient der ganze Gipfel nur dazu, eine UN-finanzierte Werbeveranstaltung für Diktator Ben Ali zu sein.

In der Diskussion berichtete ein Zuhörer im Saal über eine Tour von Menschenrechtsaktivisten nach Tunesien. Er sei über 300 Male in seinem Leben verreist, aber niemals zuvor wäre er bei jedem Schritt von der Polizei verfolgt worden. Überall habe man ihm von Regierungsseite erzählen wollen, dass Tunesien eine Demokratie sei und über eine freie Presse verfüge. Er habe zu den Tunesiern gesagt, dass im November 13.000 Kommunikationsexperten nach Tunesien kommen würden, die auch ihre Medien lesen und sehen würden. Wenn sie dann immer noch sagen würden, dass sie eine Freie Presse hätten, würden sie von 13.000 Leuten ausgelacht.

Anschliessend fingen die regierungsfreundlichen Tunesier an, sich an der Debatte zu beteiligen. Nichts sei dran an all den Anschuldigungen, sie würden in einem freien Land leben und den meisten ginge es sehr gut. Und ausserdem gehe es beim WSIS nicht um Tunesien sondern um die ganze Welt, man solle doch darüber reden. Die Diskussion war wie gewohnt hitzig, führte aber nicht zu solchen Tumulten wie noch auf PrepCom1 in Hammamet im vergangenen Juni. Die Tunesische Regierung hat von diversen Staaten mehr als deutlich signalisiert bekommen, dass sie ihre Agent Provocateurs zur Ordnung rufen soll. Die internationale Zivilgesellschaft und die unabhängigen tunesischen Gruppen müssen sich daher auf subtilere Taktiken einstellen.

Quelle:
http://www.worldsummit2003.de/de/web/721.htm

Wissen tun es wohl Alle, dran denken tut man seltener - doch offensichtlich kocht ein teuflischer Eintopf hinter den weissen Stränden am blauen Meer. Aber wenn der vorhergehende Artikel Recht hat, können wir doch von hier aus helfen - wenn wir unseren Reiseveranstaltern Feuer unterm Hintern machen...

Re: Die Diktatur der Raffkes #37355
24/03/2005 10:10
24/03/2005 10:10

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Super Beiträge, interessant und vor allem realistisch [daumen]

Re: Die Diktatur der Raffkes #37356
24/03/2005 17:27
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Gundula Offline
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Danke sehr, bin immer über jeden Beitrag froh, der auch über solche Dinge berichtet. Als Tourist wollen viele darüber nichts hören und sehen, ist ja auch bequemer. Aber wer sich wirklich für das Land interessiert und auch die Menschen dort besser verstehen will, kommt auch um Negatives nicht herum.