Tunesien Informationsforum ARCHIV Tunesien Informationsforum ARCHIV
Jawhara FM Mosaique FM
Dieses Forum ist nur als Archiv nutzbar.
Popular Topics(Zugriffe)
1,651,698 Magic Life Club
1,229,895 Islamische Fragen
TunesienCom Galerie
Der Flughafen Enfidha/Hammamet - Bilder von Walter
Hammamet Fotos von Walter
Djerba Fotos von Walter
Impressum
Impressum
Datenschutzerklärung

Kontakt E-Mail
Previous Thread
Next Thread
Print Thread
Bewerte Thread
eine geschichte, die auch die andere seite beleuchtet #97317
12/02/2003 17:40
12/02/2003 17:40
Joined: Jun 2001
Beiträge: 730
Barcelona
C
catussa Offline OP
Member
catussa  Offline OP
Member
C

Joined: Jun 2001
Beiträge: 730
Barcelona
die folgende geschichte ist aus dem buch
"die erste liebe ist immer die letzte" von tahar ben jelloun(siehe auch das andere thema von ihm).
ich fand sie sehr sehr interessant und wollte sie euch nciht vorenthalten, finde sie sehr gut um auch mal die andere seite zu beleuchten, aber lest selber:

das mittelmeer im herzen

wenn er doch nur mit einer kurzen, präzisen handbewegung verschinden könnte! eine magische handbewegung als begleiter der untergehenden sonne, die langsam in dieser verschwommenen linie aus farbe und zärtlichkeit versinkt. wenn er doch nur mit einem federstrich oder einem ins ohr einer sterbenden greisin geflüsterten satz jenen in die farben der dämmerung getauchten horizont asuwischen könnte, unversehrt aus seinem körper schlüpfen und barfuss im kleinen wald seiner kindheit spazierengehen!
der horizont erhob sich wie eine auf einem haufen ruinen errichtete mauer und trennte ihn vom anbrechenden tag. die mauer verschob sich, öffnete sich auf ein sandfeld, auf dem sich hunderte nackter frauenkörper aalten, blonde, rothaarige, weisse, junge, faltige, fette, hässliche, alte, sexbesessene. er schloss die augen und all diese frauen erhiben sich schwer oder leichtfüssig, mit nach ihm ausgestreckten armen. würden sie ihn zerreissen oder aufessen?
er wusste, dass er entseelt war, wähnte sich aber stark genug, seine seele jederzeit zurückzuerobern. ein dressierter, sich nachts aufbäumender körper ohne zärtlichkeit. er war dieser der schlaflosigkeit der ausländerinnen gewidmeter körper. ein sonne und meersalz abgerungener körper. dieser ansammlung rosafarbenen, erhitzten, fiebernden fleisches ausgeliefert. jetzt schoben sich sie sich im gleichschritt voran, langsam, schwerfällig, als gehorchten sie dem taktstock eines schlechten dirigenten. diesesmal ergriff der taumel seine gedärme.
er stand auf, trank ein glas wasser, schluckte ein aspirin und setzte sich mit gekreuzten beinen auf den boden. von weitem hörte er undefinierbare geräusche. in der hotelhalle plaudernde frauenstimmen. vermischte parfümdüfte drangen in das zimmer. er wusste nciht mehr, wie er das fieber und die übelkeit aufhalten konnte.
er war zu spät dran für seine arbeit. er zig die badehose an und warf einen raschen blick auf das meer. reine gewohnheit. ein bademeister arbeitete bei jedem wetter. das meer war ruhig. die bereits heisse sonne verhiess den „netten clubmitglieder“ einen unvergesslichen tag. es war ein mit 9 von 10 punkten zu bewertender und auf die ehrenliste der „ewigen sonne“einzutragender tag.
das ist fast wahr!das meer hat eine heimat, und das ist tunesien. das mittelmeer im herzen und das herz des mittelmeers! er betrachtete die poster und starrte sie solange an, bis das blaue, stille meer stürmisch und grau wurde. das heitere, ruhige, kleine fischerbott wurde zum hai mit langen zähnen und verschluckte die nächte belagernden fetten körper. er setzte seine „netter animateur“-kappe auf, quälte sich ein lächeln ab und öffnete seine zimmertür, nachdem er ein stück des schönen posters angerissen hatte. er hielt einen augenblick lang inne, nahm einen in der ecke liegenden schwarzen filzstift und malte einen riesigen phallus auf das blaue mittelmeer. er kreuzte das wort herz aus und schrieb ein der wahrheit näherkommendes wort darüber. er las den satz erneut und lachte los:das mittelmeer im geschlechtsverkehr und der geschlechtsverkehr am mittelmeer! er war zufrieden mit dieser kleinen verkehrung. eine winzige rache. er war etwas erleichtert und fühlte sich sogar unbeschwerter. manchmal kann aspirin wunder wirken! klare gedanken und wagemutige gesten. es war sicher ncihts grossartiges, aber würde beim nächsten mal ja vielleicht weitergehen. schliesslich war ihm gerade klar geworden, dass zehn jahr eines jungen, kraftvollen lebens im dienste des clubs und des zusätzlich verabreichten flüchtigen glücks für aus der kälte angereiste körper einiges an wagemut verdienten.
sein vater hatte ihm gesagt:“du wirst wenigstens kein fischer sein. du wirst etwas besonderes:du wirst eine anstellung haben. stattsbeamter, ein achtbarer mann, zum beispiel lehrer. fischer?niemals, das mit der armut muss aufhören.“ er fuhr oft mit seinem vater und anderen fischer aufs meer hinaus. er war noch zu jung, um den ausbteungsprozess ganz zu verstehen, doch er wusste, dass dies nciht das leben war, von dem er träumen konnte.
im sommer bot er den touristen seine dienste an. führer, dolmetscher oder träger. was er tat, war unerheblich. es ging hauptsächlich darum, ein paar pfennige zu verdienen. dieser sehr braunhäutige junge mit den grossen hellen augen erwichte die herzen ganzer touristengruppen.
er spielte den frechen, sympathischen, kleinen araber. den frauen bot er kleine, von seiner schwester gebunden sträusse yasmin an. den männern verkaufte er andenken und postkarten. eine tages zog ihn ein deutscher ins hinterzimmer eines teppichladens und legte seine hand auf seinen hosenladen. der junge gab ihm einen wütenden tritt ins schienbein, liess ihn vor schmerz gekrümmt zurück und trat die flucht an. das war ein schlechter tag. die polizei erwischte ihn und beschuldigte ihn des diebstahls. in einem armen land ist diebstahl an einem touristen das schlimmste verbrechen!wie soll man auch einem polizisten beibringen, dass ein armer junge nicht unbedingt ein dieb sein muss?
mit achtzehn war er der dynamischste „gentil organisateur“ des club méditerranée. ein toller rekrut:schlank, leicht, schön und vollständig verfügbar. man gab ihm die kappe eines bademeisters und machte ihm begreiflich, dass „baden“ auch etwas anderes bedeuten kann. falls er den unterton nicht verstanden haben sollte, schickte man ihn abends mit einer flasche mineralwasser zu einer sonnenverbrannten dame eines gewissen alters. sie empfing ihn halbnackt auf ihrem bett, zog ihn an sich und gab mit deutschen worten durchsetztes stöhnen von sich. er hatte schon mit touristinnen geschlafen, aber noch nie unter diesen bedingungen. normalerweise ergriff er die initiative. hier nciht mehr, er war verletzt. als er aus dem zimmer der kam, kritzelte er einen satz in seinen notizblock und ging sich waschen:

dienstag:sie spricht deutsch, ihre brüste hängen und sie hat schwere beine. 2 von 10!

am nächsten tag sagte ihm der chef der gentils organisateurs:“die kleine dunkelhaarige dahinten kann nciht schwimmen. sie heisst marie...“
sie war nciht alleine, aber ihr freund interessierte sich nciht wirklich für sie. sie küssten sich im wasser machten einen gemeinsamen mittagsschlaf.

mittwoch:marie ist hübsch. kleine brüste. schreit laut. 5 von 10...

es gab ein dutzend arabischer gentils organisateurs, die wie er den ruf des clubs aufrechterhielten. einige von ihnen waren immer im dienst und erledigten alle aufgaben lächelnd. ein beruf wie jeder andere! im winter trafen sie sich, zeigten sich gegenseitig die aus frankreich,belgien, deutschland, der schweiz erhaltenen liebesbriefe. vor lauter nostalgie bekamen sie kopfweh.
in diesem jahr brach der winter langsam über das land herein. der strand war von einer weisslichen schneedecke bedeckt. arme fischer durchwateten sie sorglos. das land hatte über die bilder und mythen hinaus seine falten wiedergefunden. das klischee eines vom mittelmeer geliebten landes, eines glücklichen und verfügbaren landes war auf eis gelegt.
auch er ging im sand spazieren und wartete auf die wiedereröffnung des clubs. er ging hin und her auf der suche nach etwas oder jemandem. er dachte an sie. dunkelhaarig und schlan. die schwarzen augen der kindheit. keusche gestern. wenig worte. die zärtlichkeit und der duft des heimatbodens. er sann und träumte. eine einheimische. vielleicht scheu und unschuldig. ein arabisches gedicht, ein traditioneller gesang. jeden tag erfand er sie aufs neue und streckte ihr in der dämmerung die hand entgegen. er begleitete sie nach hause, denn er hatte beschlossen, dass sie in der medina lebte, in einem schlichten haus. sie spräche kaum französisch. sie trüge ihm gedichte von ahmed chawki oder von chabbi vor. die liebte ihn heimlich.
ihr bild verfolgte ihn. sie veränderte sich wenig:macnhmal verschwand sie urplötzlich. er wurde verrückt, trank und rauchte, in der hoffnung sie wiederzufinden. er suchte sie bis ins labyrinth von sidi bou said. er kehrte zu fuss in die stadt zurück. sie kam nie dann zurück, wenn er es erwartete, sie erschien oft mitten in der nacht, mitten in einem traum, in der stille, auf einem pferd oder fahrrad. er wachte beglückt auf und schlief lächelnd wieder ein.
die sommer verstrichen und die frauen aus dem club glichen sich. mehr oder weniger jung, mehr oder weniger fett. er blieb weiter fit und männlich. er führte tagebuch und amüsierte sich damit, die frauen zu benoten. madame x hatte er 10 von 10 gegeben, mit folgendem kommentar:

perfekt, angenehm, menschlich. sie hat mit mir gesprochen. ich habe ihr zugehört. wir haben uns nciht geliebt.

gertrud hatte er nciht benotet, nur folgenden kommentar:

sie liebt männer wohl nicht. sie ist auf mich gestiegen und hat mich wie ein weibchen behandelt.

zu helene, nach einem 8 von 10:

sie muss araberin sein. sie sieht meiner traumfrau sehr ähnlich, doch sie liebt den sex zu sehr.

auf einer anderen seite folgender satz ohne kommentar:

patricia ist ein mann!

er hatte eine unglaubliche anzahl an vornamen und flüchtigen affären gesammelt. jedesmal wenn er versuchte, sie zu zählen, bekam er eine starke migräne. es war schwindelerregend. er schrieb gerade sein zehntes notizbuch voll. eines pro sommer, das machte die rechnung einfacher. er musste bei der dreihundertzweiundvierzigsten ausländerin angelangt sein. darauf war er keineswegs stolz. der ekel stieg in ihm hoch. dreihundertzweiundvierzig ausländerinnen und keine einzige einheimische. er spürte, wie ihm sein traum entglitt. das arabische mädchen, das er zu treffen hoffte, bewohnte seine vorsetllungskraft nciht mehr. er war abgestumpft. der club schloss beim ersten septemberregen. er packte seinen koffer. beim abschied sagte ihm der der gentils organisateurs:“es war eine gute saison, nciht wahr?! in diesem jahr gab es viele junge. bis zum nächsten jahr. sei diesen winter vorsichtig. hüte dich vor allem vor den huren.“

er trank eine limonade im cafe de paris. verfügbar und erleichtert. er betrachtete die gäste mit einer gewissen distanz. studenten diskutierten. eine etwas zehnjähriger bot ihm postkarten an. er kaufte wahllos eine. auf die rückseite schrieb er:

komm zurück. ich erwwarte dich. ich bin frei. komm schnell. ich leide unter der einsamkeit.

er unterschrieb und adressierte sie an

zahra, meine traumtunesierin.

er frankierte die karte, warf sie in einen briefkasten und machte einen spaziergang durch die altstadt. das war seine ins meer geworfene flaschenpost. er schlenderte langsam, als er sie sah. es war sie. er erkannte sie sofort, wie unter einem zauberbann. schlan uund dunkelhaarig. er spürte einen schock. er sprach sie stotternd an:“zahra...wo warst du?zahra...mein liebling...nein bitte entschuldigen sie...zahra, ich habe dich überall gesucht in der nacht, im schlaf, in den strassen meiner kindheit, unserer kindheit...“
sie blieb stehen und sagte:“ich heiss nciht zahra, sondern khedija.“ sie gingen ein stück weges zusammen. es gelang ihm sie wiederzusehen. khedija arbeitete im tunesischen handwerkszentrum.
ihn, der auf einmal scheu und zitternd war, bewegte ihr stimme. er träumte nciht mehr von ihr, sondern schrieb ihr liebesbriefe, gedichte, geschichten. verliebt. er war zum ersten mal in seinem leben verliebt. als sechsundzwanzigjähriger reagierte er wie ein unerfahrener schuljunge. eines abends besuchts sie ihn zuhause. es lagen wahnsinn und freude in der luft. sie küssten sich lange und zogen sich dann aus. er liebkoste sie sehr zärtlich. auf einmal überkam ihn panik. eine plätzliche gefühlsregung erstickte ihn. sein körper erkaltete. er spürte eine art brand in seinem blut. all seine glieder funktionierten verlangsamt. schande. wie ein kind schluchzte er mit gegen die wand gedrehtem kopf. khedija versuchte ihn zu beruhigen. er küsste lange ihre hände, wickelt sich in die laken, bedeckte sein gesicht und stürzte in tiefes schweigen ab.

Re: eine geschichte, die auch die andere seite beleuchtet #97318
12/02/2003 19:29
12/02/2003 19:29
Joined: Oct 2002
Beiträge: 245
nrw
T
taba Offline
Member
taba  Offline
Member
T

Joined: Oct 2002
Beiträge: 245
nrw
du hast recht, catussa, diese geschichte ist sehr interessant...und sie stimmt nachdenklich. oder?

liebe grüsse taba