Von Jonna Meyer-Spasche
jmeyerspasche@politik-digital.de

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Demokratie offline: Zensur im Netz

Zeitungen werden verboten, Journalisten bedroht, auch mysteriöse Todesfälle sind keine Seltenheit: Die freie Meinungsäußerung ist leider immer noch nicht überall Realität. In vielen Ländern werden nach wie vor keine regierungskritischen Stimmen geduldet: Das bedeutet Zensur von Presse, Radio und Fernsehen. Grade in diesen Ländern ist das Internet eine der letzten Bastionen für die Opposition.

Viele Regierungen in der Dritten Welt, besonders autoritäre Regime, stehen im Zwiespalt zwischen dem Wunsch nach Modernisierung und wirtschaftlichem Erfolg einerseits und dem nach Informationskontrolle andererseits. Telefon, Presse und Rundfunk werden direkt oder indirekt staatlich zensiert und auch das Internet, oft letztes heimliches Sammelbecken für oppositionelle Stimmen, bekommt den Druck der Zensoren zu spüren. Die Methoden sind vielfältig, die Wege, die Zensur zu umgehen auch.

Filtern und Blockieren ...

Ein naheliegendes Zensurmittel repressiver Regierungen ist, internetspezifische Gesetze zu erlassen. Darin werden beispielsweise bestimmte Inhalte verboten, etwa um Minderjährige zu schützen. Auch bereits bestehende Gesetze über die Meinungsfreiheit und deren Einschränkung können oft auf das Internet angewendet werden. In China darf grundsätzlich kein Material verbreitet werden, das sich gegen die Regierung wendet, also auch nicht über das Internet. Oft ist die Definition von "Informationsverbreitung" in den Pressegesetzen so schwammig, dass das Internet problemlos darunter fällt und daher für diesen Bereich keine extra Gesetze nötig sind. Tunesien etwa hat zwar detaillierte internetspezifische Gesetze, wendet aber auch seine existierenden, repressiven Pressegesetze auf das Internet an.

Ein anderer Weg, der Bevölkerung den Zugang zum Internet zu erschweren, ist es, den Zugang über lokale Provider zu verweigern, wie es in Irak, Libyen oder Syrien geschieht. Die Regierungen dieser Länder können aber nicht verhindern, dass sich die User über internationale Provider einwählen.

Doch auch wenn der Zugang gewährt wird, kann er kontrolliert werden, nämlich durch die Lizenzierung von Internet-Usern und Internet Service Providern (ISPs): In einigen Ländern, China zum Beispiel, müssen sich User polizeilich registrieren lassen. Damit werden sie oft gleichzeitig dazu gezwungen, bestimmte Inhalte, die sich etwa gegen die "nationale Moral" richten, nicht zu veröffentlichen. In Singapur wird von den Service Providern auch verlangt, ausländische Seiten mit unerwünschten Inhalten zu blockieren.

Filtern und Blockieren von bestimmten Seiten, auch direkt durch die Regierungen, sind beliebte Zensurmittel. Besonders einfach ist es für die Regierungen, die auch die Kontrolle über den Telekommunikationssektor haben, was grade in Entwicklungs- und Schwellenländern oft der Fall ist. In Tunesien, Iran, Saudi-Arabien, Jemen und Bahrain blockieren die staatlich kontrollierten ISPs Sites mit politischer und menschenrechtlicher Kritik an der Regierung oder mit kulturell unerwünschtem Inhalt wie expliziter Sexualität. In Indien kontrolliert der staatseigene ISP "VSNL" den Zugang zu internationalen Seiten und kann so unliebsame Seiten blockieren, so geschehen während der letzten Kaschmir-Krise mit der pakistanischen Zeitung "Dawn", die als unabhängig gilt. Die Blockade konnte hier jedoch umgangen werden, indem Texte aus der Zeitung über mailing-Listen verbreitet wurden. Im Mittleren Osten und in Nordafrika, wo viele Regierungen Telefone von potentiellen Dissidenten abhören, wird wohl auch die e-mail-Kommunikation überwacht, wobei hierfür allerdings noch keine Beweise vorliegen.

Zu diesen staatlichen Zensurmethoden kommt, wie auch oft in den anderen Medien, die Selbstzensur. Aufgrund von Drohungen und Einschüchterungen durch die Regierung trauen sich viele erst gar nicht, möglicherweise anstößiges Material ins Netz zu stellen.

... gegen "Tunneln" und Spiegeln

Doch wie schon in einigen der oben angeführten Beispiele angedeutet, ist die Kontrolle des Internets aus mehreren Gründen schwierig.
So kann man der nationalen staatlichen Kontrolle dadurch ausweichen, dass man seine Inhalte über ausländische Provider ins Netz stellt. So hat der oppositionelle Sender "Radio B92" aus Belgrad, als er von der Regierung verboten war, sein Programm über einen holländischen Provider ins Internet gestellt. So waren die Nachrichten des Senders wenigstens in anderen europäischen Ländern erhältlich. Außerdem konnten so Radiosender wie "Radio Free Europe" und "Deutsche Welle" den Inhalt zurück nach Serbien senden. Der Erfolg dieser Aktion war, dass "Radio B92" wieder "on air" ist.

Das "Digital Freedom Network" wurde mit dem vorrangigen Ziel gegründet, unterdrücktes Material aus aller Welt online zu veröffentlichen. Repressive Regierungen können ebenso über mirror sites ausgetrickst werden, also durch Kopien von Sites auf mehreren Servern, oder anderen Sites im Ausland.
Auch das Hindernis der Proxy-Server, die den Zugang zu bestimmten Web-Seiten blockieren, kann umgangen werden. Entweder der Zensurgeschädigte ändert die Adresse seiner Seite und gewinnt so etwas Zeit, oder aber die User wählen sich einfach über einen ausländischen Server ein, der die Seiten nicht blockiert.

Verschlüsselung bietet eine weitere Möglichkeit, staatliche Kontrolle zu umgehen. Der Haken daran ist, dass man, obwohl der Inhalt selbst nun unkenntlich ist, immerhin erkennen kann, dass etwas verschlüsselt wurde. Ein Weg aus dem Dilemma führt durch einen Tunnel. Mit Steganographie-Software wird ein Text beispielsweise in einem Bild oder Videoclip versteckt, so dass der brisante Inhalt, den man verschicken möchte, unter der harmlos wirkenden Oberfläche unentdeckt bleibt.

Wenn einem Dissidenten dieser Weg zu umständlich ist, kann er seine e-mails auch relativ sicher über pseudo-anonyme remailer verschicken. Remailer-Computer sind zwischen Sender und Empfänger geschaltet und ersetzen jeweils die Adresse des Senders durch eine Dummy-Adresse. Diese Methode ist besonders nützlich für Personen, die befürchten, dass sie bespitzelt werden.

Menschenrechtsorganisationen bemühen sich darum, dass diese Tricks überflüssig werden und das Internet sich als Raum der Meinungsfreiheit etablieren kann. Natürlich suchen viele autoritäre Regierungen ständig nach Wegen, die Möglichkeiten zur Internet-Kontrolle zu verbessern.

Zwar ist das Internet längst nicht so leicht zu kontrollieren wie die herkömmlichen Medien Presse, Radio und Fernsehen. Doch grade in ärmeren Länder kann sich das Internet nur über Umwege den Klauen der Zensurbehörden entziehen. Mit Tricks und Kniffen hält die Meinungsfreiheit sich im Netz. Ein entwürdigender Zustand, der die Dimensionen der regierungsinternen Blockaden gegen die IT-Entwicklungspolitik spiegelt.
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