DJERBA

Urlaub im Ausnahmezustand

Von Marion Schmidt

Frühsommer auf Djerba, beste Reisezeit vor der Hochsaison mit 28 Grad Celsius Lufttemperatur und badewarmen Wasser - und es herrscht Flaute. Seit dem Terroranschlag auf der tunesischen Ferieninsel vor über einem Jahr bleiben die Touristen aus, obwohl ein Heer von Polizisten und Geheimdienstleuten für Sicherheit sorgen soll.


Die Mauern erstrahlen im Sonnenlicht so unnatürlich hell, als wäre der Weiße Riese gerade vorbeigekommen. Und drinnen leuchten die prachtvoll-bunten Mosaiken an den Wänden vom Boden hoch bis zur grünen Holzdecke. Keine Rußspuren, keine Rauchstreifen, nirgends - die Synagoge La Ghriba auf der tunesischen Ferieninsel Djerba sieht aus, als wenn hier nichts gewesen wäre.
Dabei kamen im April vor einem Jahr in dem jüdischen Gotteshaus bei einem Terroranschlag 21 Menschen ums Leben, 14 von ihnen waren deutsche Touristen. Die tunesischen Handwerker haben schnell ganze Arbeit geleistet und alle Terrorspuren mit viel Farbe übertüncht. Nichts erinnert mehr an das Feuerinferno, das der Tunesier Nizar Ben Mohammed Nawar an jenem Tag dort entfachte. Bis auf die Wachtürme und Sicherheitsposten, die das Gelände außerhalb des Ortes Eriadh umgeben. Allein fünf Polizisten muss man passieren, bevor man die Synagoge betreten kann. Innen im Gebetsraum ist es leer und ruhig, nur zwei Besucher stören die meditativen Gesänge der betenden Juden.

Viele Tourenanbieter auf Djerba machen mittlerweile einen Bogen um die Synagoge. Nicht nur, weil man die Touristen nicht an den verheerenden Anschlag erinnern will. Auch weil die einheimischen Reiseleiter mitunter langwierig kontrolliert werden. Feyssal Gharbi, für FTI auf der Insel unterwegs, sagt, er habe "keine Lust" mehr, dorthin zu fahren, weil er zuletzt gleich dreimal seinen Pass vorzeigen musste. Bei den wenigen Touristen, die noch herkommen, nehmen es die Wachleute aber nicht so genau: Manchmal schauen sie in Taschen, manchmal auch nicht, und einen Pass muss niemand vorzeigen.
Überhaupt hat man den Eindruck, die Polizisten mit den lässig umgehängten Gewehren wollen lediglich Präsenz zeigen, dem Besucher aber ansonsten nicht das Gefühl vermitteln, sie müssten hier ernsthaft geschützt werden. Die Sicherheitsmaßnahmen sind überall auf der Insel verschärft worden, ein Heer von Polizisten und Geheimdienstleuten in Zivil soll dafür sorgen, dass sich ein Anschlag wie letztes Jahr nicht wiederholt. Nahezu alle großen Hotels sind durch eiserne Eingangstore gesichert, und rund um die Uhr patrouillieren Sicherheitskräfte durch die Anlagen. Vielleicht gibt das Sicherheit, vielleicht macht es aber auch um so mehr deutlich, dass sich der Urlauber in einem islamistischen Land befindet. Und irgendwie ist es Urlaub im Ausnahmezustand. Auch für die Tunesier.

Im Hotel "Cesar Palace", einem Fünf-Sterne-Haus in der "zone touristique", einem etwa 17 Kilometer langen Hotelstreifen am Hauptstrand Sidi Mahrès, bemühen sich drei Kellner um fünf Gäste. Ein Koch schlurft hinter den ausladenden Buffets entlang, schichtet immer wieder die Speisen um, draußen steht ein weiterer Koch am Barbecue und wartet auf Gäste, denen er eine frische Brasse grillen kann. Nachmittags am Pool ein ähnliches Bild - ein Dutzend Gäste gruppiert sich um das Nass. Am Strand buhlen Kameltreiber, Muschelverkäufer und Sportboot-Verleiher fast schon verzweifelt um Gunst und Geld der Gäste. Ende Mai auf Djerba, beste Reisezeit vor der Hochsaison, mit angenehmen 28 Grad Celsius Lufttemperatur und badewarmen Wasser - und es herrscht Flaute. Warum? Der Taxifahrer sagt: "Die Deutschen haben Angst zu kommen." Der Kellner sagt: "Den Deutschen geht es wirtschaftlich nicht mehr so gut." Der Reiseleiter sagt: "Die Medien in Deutschland berichten schlecht über Tunesien."

Tatsache ist: Über eine Million Deutsche flogen bislang jedes Jahr nach Tunesien, im letzten Jahr waren es nur noch etwas mehr als 600.000 - ein Minus von über 40 Prozent. Djerba hat es dabei besonders stark getroffen, gilt die Insel doch nach dem Anschlag als Terrorziel. Von diesem Imageschaden hat sie sich trotz aller Sicherheitsmaßnahmen bis heute nicht erholt. Bis Ende April waren viele Hotels noch geschlossen, im Mai zum Teil nur zu zehn Prozent belegt. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf Freizeitangebote und Verpflegung - beides wird notgedrungen heruntergefahren. Begonnene Bauten stehen still, notwendige Renovierungsarbeiten werden verschoben, an Fassaden blättert der Putz ab, selbst in Luxushotels werden abgenutzte Duschköpfe nicht ausgetauscht. Einigen Hotels wurden schon Sterne gestrichen, weil das Angebot längst nicht mehr dem Fünf-Sterne-Standard entspricht.
Für die Djerbi ist diese Entwicklung eine "Katastrophe", sagt etwa der Kellner Kathis im Hotel "Djerba Palace" und fragt: "Wo sind die Deutschen, warum kommen sie nicht mehr?" Im Jahr zuvor seien 80 Prozent der Gäste aus Deutschland gewesen, jetzt sei es gerade mal jeder Zehnte, obwohl die Preise massiv gepurzelt sind - last minute wird eine Woche Djerba im Vier-Sterne-Hotel für knapp über 300 Euro verscherbelt. In ihrer Not setzen viele Hotels auf Billigangebote, allerdings nicht freiwillig. Gerade deutsche Reiseveranstalter drehen stark an der Preisschraube, um noch Urlauber nach Djerba zu kriegen. Keine gute Strategie, findet Mahrez Sassi vom tunesischen Fremdenverkehrsamt in Frankfurt. Er wirft TUI und Co. "Perspektivlosigkeit" vor: "Die drücken immer weiter die Preise und denken nicht mehr an Qualität." Die Schmerzgrenze, sagt er, sei längst erreicht.

http://www.spiegel.de/reise/fernweh/0,1518,252335,00.html
vom 16. Juni 2003