Versteck hinter Worthülsen
Die Menschenrechtsartikel in Assoziierungs-abkommen der EU mit Mittelmeeranrainern bewirken wenig
von Ali Al-Nasani*
Die derzeitige Diskussion um das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Syrien kann man getrost als Farce bezeichnen. Die Gemüter erhitzen sich über der Frage eines Menschenrechtspassus und eines Artikels über die nicht Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Die Erfahrungen mit den Assoziierungsabkommen zwischen der EU und anderen Staaten der Region zeigen, dass solche Klauseln in der Praxis nur Worthülsen sind, hinter denen sich beide Seiten verstecken.
„Die Wahrung der Grundsätze der Demokratie und die Achtung der Menschenrechte sind wesentlicher Bestandteil dieses Abkommens.“ Wenn die EU diesen Passus, der Standardmäßig in die Assoziierungsabkommen aufgenommen wird, wirklich ernst nähme, müsste sie schon lange die Assoziierungsabkommen mit Tunesien oder Ägypten gekündigt haben: Weit davon entfernt, funktionierende Demokratien zu sein, werden in diesen Ländern grundlegende Rechte wie Pressefreiheit oder demonstrationsrecht seit Jahren mit Füßen getreten: Zu Recht kritisierte der EU-Abgeordnete Daniel Cohn-Benedit die Menschenrechtsklausel als Phantomartikel, über den nie diskutiert würde.
Theoretisch ist es denkbar, ein Assoziierungsabkommen bei Verletzung des Menschenrechtspassus auszusetzen. Doch gibt es keine Sanktionsmechanismen, die automatisch greifen. Daher wird es in der politischen Realität über den Dialog hinaus nicht zu Sanktionen kommen. Darüber sind sich alle Beteiligten im Klaren.
Zudem endet die öffentliche Kritik der EU an Menschenrechtverletzungen in dem Moment, in dem ihr politischer Dialog der EU ist intransparent und ineffizient...
Polischer Dialog wirkt nicht
Auch das Beispiel Tunesien verdeutlich die fehlende Wirkung des politischen Dialogs. Die EU und Tunesien haben bereits 1998 ein Assoziierungsabkommen geschlossen; doch die regelmäßigen Appelle der EU zu Gunsten einer politischen Öffnung und Förderung einer Zivilgesellschaft stoßen in Tunis auf taube Ohren. Der wirtschaftlichen Zusammenarbeit hat dies allerdings keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: Noch 2003 hat Tunis in Zusatzverhandlungen zum EU Assoziierungsabkommen 20 Millionen Euro für Strukturanpassungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt bekommen, obwohl keine menschenrechtlichen Verbesserung erzielt worden sind.
Die Achtung der Menschenrechte sollte am Beginn der wirtschaftlichen Zusammenarbeit stehen und nicht mit Glück in deren Verlauf eintreten. Es ist ein Trugschluss, dass die wirtschaftliche Öffnung automatisch auch größere politische Freiheiten und einen besseren Schutz der Menschenrechte mit sich bringt. Gerade die an Erdöl und Erdgas reichen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens können es sich leisten, die Menschenrechte außen vor zu lassen. Sie wissen sehr wohl, dass sie trotzdem von den westlichen Ländern hofiert werden. Gerade deshalb fordert Amnesty International einen Mechanismus, der regelmäßig und unparteiisch die Entwicklungen im Bereich der Menschenrechte überprüft. Gleichzeitig müssen messbare Ziele zur Verbesserung der Menschenrechtslage formuliert werden, damit sich nicht weiterhin alle Beteiligten hinter diplomatischen Floskeln verstecken können.
*Ali Al-Nasani ist Algeriensprecher der Deutschen Sektion von Amnesty International und freier Autor.
Quelle: Frankfurter Rundschau, 24. Juni 2004