Famulatur in Tunesien: Im Nachhinein ein echter Glücksgriff
Eigentlich hatte ich mich beim Deutschen Famulantenaustausch für eine Famulatur in Frankreich beworben, aber leider keinen Platz bekommen. Als dann die Liste mit den Restplätzen kam, entschloss ich mich spontan für Tunesien, da es das einzige französischsprachige Land war. Recht bald kam dann auch eine Zusage. Zunächst noch ziemlich unbedarft bekam ich nach und nach immer mehr Horrorgeschichten über Tunesien zu hören, von Klagen darüber, wie schmutzig das Land sei, bis hin zu Geschichten über angebliche Entführungen. So hatten sich bei mir bis zu meiner Abreise eine Menge Befürchtungen angesammelt, die sich zum Glück als völlig unbegründet herausstellen sollten.

Vorbereitung
Sobald die Reisedaten fest standen, buchte ich einen Flug – und zwar nach Monastir, da das etwa 100 Euro billiger war als die Flüge nach Tunis. Von da aus nahm ich dann den Zug nach Tunis. Die Zugfahrkarte besorgte ich mir vor Ort. Da ich unsicher war, ob irgendwelche besonderen Impfungen nötig waren, ging ich zuvor zu einem Reisemediziner, der mir außer den üblichen Impfungen nur zu einer Impfung gegen Hepatitis A und B riet, die man allerdings ja im Laufe des Studiums meistens ohnehin schon hat. Dann besorgte ich mir noch Desinfektionsmittel für die Kitteltasche und Handschuhe. Das stellte sich Nachhinein als sehr nützlich heraus.

In der letzten Woche vor meiner Abreise kontaktierte ich sämtliche Kontaktpersonen der lokalen Austauschorganisation in Tunis, da ich von jemandem, der ein Jahr zuvor dort gewesen war gehört hatte, dass dieser die erste Nacht im Hotel verbringen musste, weil er nicht abgeholt wurde. Tatsächlich klappte bei mir dann alles reibungslos. Andere Austauschstudenten mussten allerdings stundenlang warten oder verbrachten die erste Nacht im Hotel. Also unbedingt vorher die Ankunftsdaten per E-Mail an die Kontaktperson (oder besser mehrere) durchgeben und hartnäckig auf eine Antwort bestehen.

Das Krankenhaus
Ich war im Krankenhaus „La Rabta“, das zum Universitätsklinikum gehört, auf einer Station für Innere Medizin untergebracht. Der Schwerpunkt lag auf Systemerkrankungen, also hauptsächlich Morbus Behcet, Sklerodermie, Lupus etc. Während die anderen Austauschstudenten Arbeitszeiten von neun bis zwölf Uhr hatten, wurde von mit erwartet, dass ich von neun bis etwa 16 Uhr (je nachdem wann die Nachmittagsbesprechung zu Ende war) und auch samstags anwesend war. Der Chefarzt Prof. Houman ist da relativ anspruchsvoll, hat aber auch bei den tunesischen Studenten einen sehr guten Ruf. Er gilt als Spezialist für Morbus Behcet.

Die Gestaltung meines Tagesablaufs wurde weitgehend mir selbst überlassen. Ich hatte keine wirkliche Aufgabe, sondern verbrachte die meiste Zeit damit, mir mit den tunesischen Studenten interessante Patienten anzugucken, zu untersuchen und ihre Dossiers zu lesen. Wenn nichts zu tun war (was sehr oft vorkam) ging ich mit andern Studenten und Ärzten in die Cafeteria. Das war meist sehr unterhaltsam.

Gegen Mittag war dann Visite, die oft sehr anstrengend war, weil die Ärzte die meiste Zeit auf arabisch diskutierten, dann aber plötzlich ins Französische wechselten. Generell war die Sprache ein Problem, das ich vorher unterschätzt hatte. Die Patienten sprechen ausnahmslos nur arabisch. Man kann also mit den Patienten nicht sprechen, was auf die Dauer doch eine große Einschränkung war. Die Visite sollte eigentlich auf französisch sein, der Einfachheit halber wird aber auch hier die meiste Zeit nur arabisch gesprochen. Man muss sich also darauf einstellen, dass man die meiste Zeit des Tages nichts versteht – trotz guter Französischkenntnisse. Aber wenn man immer wieder darum bittet, geben sich die Ärzte zumindest Mühe, französisch zu sprechen.

Nachmittags fand dann noch eine Besprechung der Neuaufnahmen statt. Man wusste allerdings oft nicht, wann und ob sie überhaupt stattfindet. Das war relativ nervig, weil von uns Famulanten erwartet wurde, dass wir bei der Besprechung anwesend sind. Die meiste Zeit waren leider relativ wenige Patienten auf meiner Station, was wohl zum Teil am „Sommerloch“ lag. Die Station ist sehr gut besetzt: Chefarzt, drei Oberärzte, jede Menge Assistenten, PJler und Famulanten. Deswegen hatten schon die Ärzte kaum etwas zu tun. Sicherlich war die Fachrichtung auch etwas ungünstig, da außer den Aufnahmeuntersuchungen so gut wie nichts gemacht wurde. Die meiste Zeit saßen die Ärzte über den Dossiers und es wurde sehr viel Wert auf die Diskussion der Differenzialdiagnose und Ähnliches gelegt.
Die äußeren Bedingungen waren schlechter als ich vorher gedacht hatte. Es gab keine Bettlaken, sehr wenig Pflegepersonal, sodass die Patienten komplett auf die Hilfe ihrer Familie angewiesen waren. Die sanitären Anlagen waren sehr schmutzig. Vor allem die hygienischen Verhältnisse waren sehr schlecht. Auf der ganzen Station waren weder Handschuhe, Desinfektionsmittel noch Seife – noch nicht einmal auf der Toilette im Arztzimmer – vorhanden. Ich desinfizierte mir hin und wieder mit mitgebrachtem Desinfektionsmittel die Hände, was mit Belustigung oder völligem Unverständnis hingenommen wurde. Ein Assistenzarzt fragte mich völlig entsetzt wieso ich mir schon vor dem ersten Patientenkontakt die Hände desinfiziere.

Ein weiterer großer Unterschied zu Deutschland, ist die Einstellung zu den Patienten Bei der Visite standen die Ärzte regelmäßig mit dem Rücken zum Patienten und diskutierten auf Französisch was diese so gut wie nie verstanden. Generell wurde den Patienten fast nichts erklärt. Als ich die Ärzte darauf ansprach sagten sie die Patienten verständen das sowieso nicht und wären an Erklärungen auch nicht interessiert.

Da es sich um eine Universitätsklinik handelt, wird von den Patienten recht viel Geduld erwartet. Das kann durchaus ein Vorteil sein, denn so konnte man zu Übungszwecken Patienten untersuchen ohne dass diese fragten, wozu man sie schon wieder untersucht. Wenn ein Patient einen interessanten Untersuchungsbefund hatte, kam es oft vor, dass sich diesen zehn Leute nacheinander ansahen. Zwar hatte ich oft ein schlechtes Gewissen, aber ich lernte dadurch sehr viel.

Unterkunft
Wir wohnten über der nationalen Austauschorganisation in einem Wohnheim für tunesische Studentinnen. In den Zimmern waren bis zu vier Leute untergebracht. Wir waren etwa 30 Studenten aus rund 13 Nationen: Eine echte „auberge espagnole“. Das Wohnheim lag super, alle Krankenhäusern und die Universität waren zu Fuß erreichbar. Zudem war Straßenbahnhaltestelle direkt gegenüber, es gab genug Einkaufsmöglichkeiten und ein Internet-Café in der Nähe. Leider lag das Wohnheim direkt an einer großen Straße lag, sodass man bei geöffnetem Fenster (anders ging es wegen der Hitze gar nicht) manchmal kaum sein eigenes Wort verstehen konnte.

Die sanitären Anlagen waren eher einfach und auch nicht gerade sauber. Das Wasser sollte zwar zwischen 7 und 9 Uhr und 20 und 22 Uhr warm sein. Ich erwischte allerdings meistens doch kaltes. Ich denke allerdings, dass man in solch einem Land, das doch erheblich ärmer als Deutschland ist (wie groß der Unterschied ist, war mir vor meinem Aufenthalt absolut nicht klar) einfach nicht die gleichen Standards wie in Deutschland erwarten kann.

Leute
Eine prägende Erfahrung war für mich die unglaubliche Gastfreundschaft und Offenheit der Tunesier. Es wurde so gut wie alles für mich möglich gemacht. Der Chefarzt zeigte mir die Stadt, tunesische Studenten, die ich im Krankenhaus kennelernte, organisierten abends „sorties“ und halfen mir bei jeglichen Problemen. Ich wurde in eine Familie zum Essen eingeladen und bekam mehrere Einladungen zu Hochzeiten.

Die Tunesier waren alle sehr daran interessiert, mir ihre Kultur, ihre Religion und ihr Land nahezubringen. Ihnen war es sehr wichtig, sich vom Terrorismus zu distanzieren und einen anderen Einblick in ihre Kultur zu geben. Sie zeigten sich sehr offen und beantworteten jede Frage und waren auch offen für Diskussionen beispielsweise über das Tragen eines Kopftuchs. Als Mädchen muss man sich darauf einstellen, dass man ständig angestarrt und angesprochen wird. Tagsüber kann man aber ohne Probleme alleine unterwegs sein. Ich hatte im Gegensatz zu anderen keine negativen Erfahrungen. Es hängt allerdings stark davon ab, wie man sich kleidet. Ich finde es aber auch normal, dass man in einem muslimischen Land nicht mit Minirock herumläuft.

Land
Tunesien ist unglaublich vielseitig. Man sollte auf jeden Fall genug Zeit für Besichtigungen einplanen. Am besten ein bis zwei Wochen länger bleiben. Zu empfehlen ist besonders der Süden. Dort gibt es die Berberdörfer, zum Beispiel Matmata, und natürlich die Wüste. Wir verbrachten unter anderem eine Nacht in der Wüste – ein unvergessliches Erlebnis. Ansonsten gibt es einige Ausgrabungsstätten. Am beeindruckendsten, aber leider etwas schwer zu erreichen ist Dougga. Auch Tabarka und Bizerte gefielen mir sehr gut. In Tunis und Umgebung gibt es ebenfalls viel zu sehen. Die vielen Strände sind oft allerdings ziemlich verschmutzt. Über die tunesische Austauschorganisation wurden jedes Wochenende Ausflüge angeboten. Die Organisation war allerdings sehr schlecht, sodass ich eher empfehlen würde, dies selbst in Angriff zu nehmen, wenn man wirklich etwas sehen möchte.

Fazit
Die zunächst mehr zufällig erfolgte Wahl von Tunesien erwies sich im Nachhinein als Glücksgriff. Ich machte viele Erfahrungen, die mich persönlich sehr bereichert haben. Der Aufenthalt ermöglichte es mir, einen ganz anderen Zugang zu einem arabischen Land zu finden und die Kultur schätzen zu lernen. Wenn es einem nur darum geht, seine medizinischen Kenntnisse zu verbessern, würde ich Tunesien nicht unbedingt empfehlen. Aber ich habe sehr viele andere Dinge gelernt und viele internationale Freundschaften geschlossen. Ich bin restlos begeistert und werde diesen Aufenthalt nie vergessen.

(28. Juli bis 8. September 2006)

Laura Knabben
http://www.aerzteblatt-studieren.de/doc.asp?docId=105981