25.05.2005:
Hannover: Ethnomedizin liegt im Trend
In Hannover wurde eine Station für muslimische Patienten eingerichtet - Von Yasin Alder, Bonn

In der Bertaklinik, einer kleineren Belegklinik des DRK in der Innenstadt Hannovers, wurde im letzten Novermber eine Station eingerichtet, die auf die speziellen Bedürfnisse muslimischer Patienten eingestellt ist. Offiziell nennt sie sich „Interdisziplinäre ethnomedizinische Abteilung“ und ist insbesondere auf türkischstämmige Patienten ausgerichtet, welche die Mehrheit der muslimischen Patienten bilden. Die kleine Klinik stellte dafür eigens eine türkischsprachige Ärztin sowie zwei türkischsprachige Krankenschwestern ein, um vorhandene Sprachbarrieren zwischen Patienten und Personal zu überbrücken. Das Essen wird von einem türkischen Restaurant geliefert und entspricht, so die Klinik, den islamischen Speisevorschriften. „Wir wollen auf besondere Bedürfnisse und kulturelle Werte muslimischer Migranten eingehen“, sagte der Internist Dr. Axel Düsenberg dazu der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.“

Das Konzept für die neue Station ist gemeinsam mit niedergelassenen türkischstämmigen Ärzten aus Hannover, Wissenschaftlern der renommierten Medizinischen Hochschule Hannover sowie dem Ethnomedizinischen Zentrum erarbeitet worden. Die muslimischen Patienten werden von den niedergelassenen Ärzten als Kooperationspartner in die Bertaklinik eingewiesen. „Niedergelassene türkische Ärzte sind an uns herangetreten, und zwar schon vor sechs Jahren. Es war Dr. Talas, der uns sagte, dass es mit der Versorgung dieser Patienten auf stationärem Gebiet noch hapere und deren soziokulturelle Belange nicht korrekt berücksichtigt würden. Daraufhin haben wir ein Konzept gemacht und sind auch nach Holland gefahren und haben uns ähnliche Projekte angesehen“, erklärt Dr. Düsenberg gegenüber der IZ. Man sei dort aber ein wenig enttäuscht gewesen, da man den Eindruck hatte, dass es in Holland nicht konsequent gemacht worden sei. Die Umsetzung in Hannover sei allerdings erst durch den Zukauf der Bertaklinik durch das DRK im letzten Jahr möglich gewesen, so Dr. Düsenberg. „Der Bedarf war seit langem da. Die Patienten werden zwar in den Kliniken medizinisch gut versorgt, es gibt aber Kommunikationsprobleme, Probleme beim Krankheitsverständnis und einiges mehr.“

Man habe in der neuen Station die sprachliche und soziokulturelle Umgebung für die Patienten verbessert, indem man türkischsprachiges und muslimisches Personal eingestellt habe, darunter wie bereits erwähnt eine Ärztin. Natürlich würden alle anderen Mitarbeiter auch entsprechend geschult, berichtet Dr. Düsenberg. Das Konzept reicht aber weiter: „Gefragt ist also nicht, nur Kenntnis der Alltagssprache sondern weitreichende interkukturelle Kompetenz“, steht in einer Selbstdarstellung des Projekts. In der neuen Station wird beispielsweise darauf Rücksicht genommen, dass muslimische Patienten traditionell von vielen Angehörigen besucht und auch mit Verpflegung versorgt werden, was in anderen Krankenhäusern oft nicht so gern gesehen wird. In der Türkei ist dies hingegen üblich, und auch die Pflege der Patienten wird dort oft von den besuchenden Angehörigen übernommen.

Hinzu kommt, dass sich auch das Krankheitsverständnis von Muslimen aufgrund ihres Glaubens an Allah, Der alles bestimmt, von dem sowohl Krankheit als auch Heilung kommen, sich von dem nichtmuslimischer oder nichtreligiöser Patienten unterscheidet, was ebenso Implikationen hat.

Dies wird in dem Konzept der Bertaklinik allerdings nicht tiefergehend berücksichtigt, denn, wie es in der Selbstdarstellung der Bertaklinik heißt: „Gefordert ist nicht eine Änderung unserer Sicht von Krankheit und Gesundheit, sondern eine Verbesserung des Zugangs dieser Patienten zu unserem Gesundheitswesen.“

Der muslimische Bezug im Konzept der Bertaklinik beschränkt sich auf den Umgang mit den Patienten und die „gezielte Berücksichtigung soziokultureller und ethnischer Besonderheiten“, wie es heißt, während im Bereich der medizinischen Behandlung weiterhin die übliche Schulmedizin praktiziert wird.

Die unterschiedliche Sicht der Muslime von Krankheit wird in der Selbstdarstellung des Konzepts leider in erster Linie als problematisch dargestellt: „Gesundheitsvorstellungen sind untrennbar mit der Kultur verbunden. Das betrifft die Darstellung und Deutung von Symptomen genau so wie die Akzeptanz von Diagnostik und Therapie. Für Migranten sind die Begriffe und die Denkweisen unserer organbezogenen Medizin oft völlig abwegig. Es werden äußere Kräfte („Böser Blick“) verantwortlich gemacht für seelische Störungen, körperliche Missempfindungen oder Fruchtbarkeitsprobleme. Aus einer ganzheitliche Wahrnehmung von Krankheit mit Befall des ganzen Körpers entstehen subjektiv dramatische Krankheitsbilder, die auf Unverständnis im hiesigen Gesundheitssystem treffen. Es folgen Endlosdiagnostik, Doktor-Hopping und Fehlbehandlung.“ Nichtsdestotrotz scheint sich das Ganze als ein Schritt in die richtige Richtung zu erweisen, der gut angenommen wird: „Die Patienten sind sehr zufrieden“, sagt Dr. Duisenberg. Auch wirtschaftlich lohnt sich die neue Station für die Klinik - die Belegungszahlen sind gestiegen. Auch ein Gebetsraum ist übrigens in der Bertaklinik geplant.

Auch viele andere Kliniken frügen bereits bei der Bertaklinik an, insbesondere nach dem ersten Zeitungsartikel. „Seitdem könnte ich hier eine halbe Stelle besetzen mit einem PR-Berater“, sagt Dr. Düsenberg scherzend. Aus mehreren Kliniken verschiedener Städte wie Kassel, Dortmund und Berlin, seien schon Anfragen gekommen.

Die anderen Kliniken sagten zu Recht, so Dr. Düsenberg, dass man sich ja auch um die muslimischen Patienten kümmere. Doch sei das bisher doch noch recht halbherzig, während man in der Bertaklinik ein komplettes Konzept habe umsetzen wollen. Schweinefleischloses Essen für Muslime beispielsweise wird bereits in immer mehr Kliniken angeboten. Ähnliche Projekte bestehen bisher unter anderem in der Hamburger Universitätsklinik Eppendorf oder dem Klinikum Augsburg. Hier wurden insbesondere für die zahlreichen saisonal Deutschland zwecks medizinischer Behandlung aufsuchenden Patientinnen und Patienten aus arabischen Ländern besondere Angebote eingerichtet. Man hat beispielsweise in Hamburg und Augsburg eigene Stationen mit Gebetsraum eingerichtet sowie entsprechende arabischsprachige Fernsehsender im Angebot.

Zukünftig soll im Rahmen der hannoverschen Konzepts der „Ethnomedizin“ ein Netzwerk aus ambulanter, stationärer und REHA-Behandlung unter Einbeziehung der Altenpflege geknüpft werden und die Gründung eines ambulanten „Ethnomedizinischen Versorgungszentrums“ im Zentrum Hannovers ist in Planung.

Website: www.bertaklinik.de
http://www.islamische-zeitung.de/?id=5857