Hallo Rosa

Ich versuche mich so kurz wie möglich zu halten. Zur Frage Sunna und Hadith: Die Sunna bedeutet die Überlieferung. Um dem Menschenbild im Islam gerecht zu werden, sind verschiedene Faktoren zu beachten. Der Koran ist die Grundlage. Die SUNNA gibt viele Ausführungsmuster an, die in den verschiedenen Kulturen und Zeiten ihre ganz speziellen Ausprägungen erhielten.

Die Lehre des Islam gründet sich in erster Linie auf das Wort Mohameds und auf sein persönliches Verhalten. Er selbst hat seinen Schreibern gewisse Texte diktiert (das ist der Text, den wir Koran nennen); das Übrige wurde von seinen Genossen herausgegeben, meist auf Grund ihrer eigenen Initiative. Mann nennt es "Hadith".

Die beiden grössten Gruppen sind die Sunniten (85-92%) und die Schiiten (7-15%). Sie anerkennen sich grundsätzlich gegenseitig. Ihr Hauptunterschied ist die Frage der Nachfolge Mohameds. Während die Sunniten nur die Zugehörigkeit zum Stamm der Quraisch (zu denen Mohamed gehörte) Voraussetzung für das Kalifenamt war, sind die Schiiten der Auffassung, dass dieses Amt nur Ali, dem Vetter und Schwiegersohn Mohameds, und seinen Nachkommen zusteht.

Die sunnitische Richtung des Islams ist für uns in Mitteleuropa die vertraute Form. Ihr gehören bis auf wenige Ausnahmen alle Türken, Jugoslawen und Araber an. Die oben dargestellten Glaubensformen treffen voll auf sie zu. Unterschiede sind vor allem kultureller Art. Die vier Rechsschulen (Hanafiten, Malikiten, Schafiiten, Hanbaliten) sind keine Sekten. Sie anerkennen sich gegenseitig und unterscheiden sich nur minim in der Rechtsauslegung.

Die Grundlage des Glaubens der Schiiten sind die gleichen wie bei der Sunniten. Die Nachfolgefrage war der Grund der ersten grossen Spaltung, sie war auch der Grund für weitere Spaltungen. Die verschiedenen Richtungen der Schiiten anerkennen eine unterschiedliche Anzahl von Imamen. So gibt es Fünfer, Siebener und Zwölfer Schia. Die Mehrheit der Schiiten zählen sich zur Zwölfer Schia. Sie erwarten den "verborgenen Imam". Der zwölfte Imam soll nicht gestorben sein, er lebt weiter, so der Glaube. Nur der Imam (nicht zu verwechseln mit dem Vorbeter der Sunniten!) kann die Lehre richtig weitergeben, weil er wie die Propheten frei von jeder Sünde ist.
Berühmtheit erlangte der schiitsche Islam durch die Revolution im Iran. Khomeini war nicht nur Vorkämpfer und Galionsfigur, sondern wurde auch von breiten Massen der iranischen Bevölkerung als Imam verehrt. Sein Grabmal ist heute schon ein Wallfahrtsort.
Es sind weniger glaubensmässige Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten, die heute für Spannungen sorgen. Vielmehr sind es die Schwierigkeiten im Umgang von Mehrheiten mit Minderheiten.

Die Polygamie erhitzt die Gemüter oft. Sie ist nach dem Koran erlaubt. Als Idealfall gilt die Mehrehe aber nicht. Sie ist eher ein Zugeständnis an die soziale Wirklichkeit zur Zeit Mohameds. Die Vorstellung, dass ein Mann zu seinem Vergnügen eine junge Frau dazuheiraten könne, wenn seine Frau durch die Arbeit und das Kindergebären gealtert und für ihn an Attraktivität eingebüsst hat, wird nach dem Koran klar abgelehnt: "....heiratet, was euch an Frauen beliebt, zwei, drei oder vier. Wenn ihr aber fürchtet, (sie) nicht gleich zu behandlen, dann nur eine."(Koran, 4,3) Die Erlaubnis zur Polygamie ist also mit der Verpflichtung zur materiellen und emotionellen Gleichbehandlung verbunden. Die Polygamie hatt auch eine soziale Komponente. Weil damals die Männer durch die vielen Kriege eine niedere Lebenserwartung hatten, waren die Frauen zwangsläufig in der Überzahl. Die Wittwen waren darauf angewiesen, wieder geheiratet zu werden.

Nun wurde dieser Bericht, doch etwas länger als ich wollte. :-) Ich hoffe, ich konnte Dir Deine Fragen mehr oder weniger beantworten.