Datum: Fri, 30 Sep 2005 22:28:46 +0200
Von: Tages-Anzeiger (Schweiz)
Betreff: Streit um Weltinformationsgipfel in Tunis

Streit um Weltinformationsgipfel in Tunis

Tunesische Menschenrechts-aktivisten tragen eine heftige Fehde aus. Lachender Dritter ist Staatspräsident Zine al-Abidine Ben Ali, demnächst Gastgeber des Weltinformationsgipfels.

Von Marlène Schnieper, Genf

Skeptiker hatten davor gewarnt, einen Uno-Gipfel zur Informationsgesellschaft ausgerechnet in Tunis abzuhalten. Vor zwei Jahren, kurz bevor der erste Teil des Gipfels in Genf über die Bühne ging, wandte sich der frühere Genfer Regierungsrat Christian Grobet an Uno-Generalsekretär Kofi Annan. «Warum», so fragte Grobet damals, «sollte Tunesiens autoritäres Regime den zweiten Teil dieser Veranstaltung übernehmen, warum nicht demokratischere Länder Afrikas wie Südafrika oder Senegal?»

Doch Tunis liess sich nicht mehr aus dem Programm kippen. Am 16. November wird Zine al-Abidine Ben Ali den Informationsgipfel eröffnen. Tunesiens Staatschef ist seit 1987 im Amt, vor einem Jahr erst wurde er mit 94,49 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Die Opposition «diente lediglich dem Dekor», wie die in Paris publizierte Zeitschrift «Le Tunisien» schrieb. Ben Ali beirrt so etwas nicht. «Wir betrachten die Meinungs- und die Pressefreiheit als fundamentale Rechte. Deshalb haben wir Reformen in diesen Belangen angestrengt», liess er im Mai verlauten.

Gefängnis oder Exil
In Genf findet derzeit die letzte Vorbereitungskonferenz zum Gipfel in Tunis statt. Da tönt es anders. Wer in seiner Heimat eine abweichende Meinung vertrete, könne wählen zwischen Gefängnis und Exil, sagt Abdel Wahab Hani, Herausgeber des «Tunisien». Die Grundrechte würden in Tunesien nicht erweitert, sondern zusehends eingeschränkt, findet die Schweizer Plattform zur Informationsgesellschaft Comunica-CH. Die Medien in diesem Land seien mehr oder minder gleichgeschaltet. Selbst die Justiz handle nach Vorgaben der Regierung, leere Anklagedossiers zögen drakonische Strafen nach sich, legten tunesische Anwälte auf dieser Plattform dar.

Die Internationale Juristenkommission (ICJ) fordert die Freilassung des seit März inhaftierten Anwalts Mohamed Abbou. Der Tunesier hatte vor den letzten Wahlen im Internet behauptet, die Haftbedingungen in tunesischen Gefängnissen seien schlimmer als in der Bagdader Anstalt Abu Ghraib. Im Juni ist Abbou in zweiter Instanzzu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die ICJ spricht von Willkür und fordert die tunesische Regierung auf, die Grundrechte in diesem wie in anderen Fällen zu respektieren. Der Zugang zu Informationen sei nur sinnvoll, wenn er einhergehe mit Meinungsfreiheit, wie sie in der Uno-Menschenrechtserklärung verankert sei, mahnt ICJ-Generalsekretär Nicholas Howen.

Zu allem Elend ist jetzt auch noch ein Konflikt innerhalb der Tunesischen Liga für Menschenrechte (LTDH) entbrannt, der ältesten Einrichtung dieser Art in Afrika und der ersten im arabischen Raum. Vom 9. bis 11. September wollte die Liga in Tunis ihren 6. Kongress durchführen. Der Anlass wurde indes gerichtlich suspendiert - auf Begehren von sieben Sektionspräsidenten der Liga selbst. Er sei Anwalt in Tunis, erklärte Chedly Ben Younes, Sprecher der Dissidenten, vor der Presse in Genf. Zu seiner Klientel gehörten «Waisen und kleine Diebe», ein Leben lang habe er die Menschenrechte verteidigt, seit 25 Jahren sei er darum auch in der LTDH aktiv, nie aber einer politischen Partei verbunden gewesen. Trotzdem trachte die Direktion der Liga nun danach, ihn auszuschliessen, weil er angeblich mit der Macht verbandelt sei. «Wie mir geht es vielen altgedienten Kadern, ja ganzen Sektionen. Mit fadenscheinigem Vorwand und unter Verletzung statuarischer Regeln stösst man sie ab. Darum haben wir geklagt», sagt Ben Younes.

Bis vor fünf Jahren hatte die LTDH 41 Sektionen, heute sind es noch 24. Restrukturierung sei nötig, um effizienter arbeiten zu können, pro Gouvernement solle es bloss noch eine Sektion geben, argumentiert Mokhtar Trifi, Präsident der Organisation. Im Gouvernement Sfax habe es schon bisher nur eine einzige Sektion gegeben, doch auch diese werde aufgelöst, «wie andernorts spielen politische Gründe mit», vermutet Ben Younes. Der Journalist Ridha Mellouli, ein weiterer Kläger, wittert eine «verdeckte Säuberung». Trifi sei Mitglied der kommunistischen Partei, sein Vize Slaheddine al-Jourchi Mitbegründer der verbotenen islamistischen Bewegung Ennahdha. «Diese Leute reissen das Erbe der Liga an sich», sagt Mellouli.

Trifi seinerseits legte gegen die Suspension des Kongresses Beschwerde ein, der Appellationsentscheid ist am 1. Oktober fällig. Für den Präsidenten der LTDH steht fest: «Die Gruppe um Ben Younes wird vom Regime instrumentalisiert, um unsere Organisation von innen her zu zerstören. Dagegen müssen wir uns wehren.» Sidiki Kaba, der Senegalese an der Spitze der Internationalen Föderation der Menschenrechte (FIDH), des Dachverbandes der Liga, scheint diese Sicht der Dinge zu teilen. Ben Younes und Konsorten seien «Sprachrohre der Macht», sagt Stephanie David, Afrika-Verantwortliche der FIDH. Die Französin rechtfertigt damit auch die Tatsache, dass ihr Chef bei seinem jüngsten Besuch in Tunis diese Konfliktpartei gar nicht anhörte.

(Source : Tages-Anzeiger (Schweiz), 28. September 2005, Seite 9)