Skandal-Roman: Der Mann als ***-Tourist

"Eine unmögliche Quelle der Polemik", hieß es bereits vor drei Jahren, als Michel Houellebecq die literarische Szene mit seinem Buch "Elementarteilchen" in Aufruhr versetzte. Der neue Roman verspricht noch mehr Aufregung.

14.02.2002







aspekte

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Alles über Michel Houellebecq




Kein anderer Schriftsteller seit Jean Paul Sartre habe die Literaturkritik so radikal gespalten - in unbedingte Bewunderer auf der einen und entschiedene Gegner auf der anderen Seite. Houellebecq, er zieht die Hassliebe der Grande Nation auf sich und ist zugleich ein hemmungsloser Diagnostiker unseres Zeitgeists. Mit seinem neuen Buch "Plattform", das am 3. Februar im Dumont-Verlag auf Deutsch erscheint, traut sich der französische Autor wieder einmal an ein gewagtes Thema: ***tourismus und das sogar in Verbindung mit nicht gerade politisch korrekten Äußerungen über den Islam.




Buchcover



Keine Predigt der moralischen Ordnung
Der Roman erzählt die Geschichte eines Beamten aus dem Pariser Kulturministerium, der nach einschlägigen Erfahrungen mit asiatischen Bordellen selbst zum ***-Unternehmer wird. In "Plattform" geht es um die "Lösung Bangkok" für die vernachlässigte Libido und um das "männliche Zentralorgan" des Erzählers Michel, das nach seiner Meinung in den westlichen Gesellschaften ein tristes Dasein fristet.

Aber dem Autor geht es um mehr, als um einen reinen ***-Roman. Houellebecq im aspekte-Interview: "Das ist ja schließlich kein Roman über Prostitution in Thailand. Was ich beschreibe, kann jeder Durchschnittstourist in Thailand tagtäglich beobachten. Utopien? Utopien habe ich keine. Meine Aufgabe ist es nicht, das ***problem des Westens zu lösen, sondern es zu beschreiben."


Lust in Zeiten der Globalisierung
Nach dem Motto: Der Westen hat das Geld, die Dritte Welt den Körper, zeichnet Houellebecq eine zynische Welt des käuflichen *** als Form der Globalisierung. Die Hauptfigur im Buch ist ein schüchterner und depressiver Protagonist - ein sympathischer Looser. Mit seiner großen Liebe Valrie - Top-Managerin in der ***-Tourismusbranche - baut er ganz nach eigenem Lust-Gusto einen ***-Ferienclub in Thailand auf. Doch Valrie wird ihm jäh bei einem Bombenattentat entrissen.


Houellebecq: politisch inkorrekt
Sein Erzähler verzweifelt am Tod seiner Partnerin, verliert die Hoffnung auf erfüllte Liebe und verfällt in autistische Einsamkeit, gepaart mit antireligiösen Ressentiments. Houellebecq zeigt sich - wie erwartet - auch in seinem neuen Buch von seiner zynischsten Seite. Viele Leser fühlten sich bereits in seinem Buch "Elementarteilchen" von der mancherorts als "*****graphische Brutalität" bezeichneten Erzählweise Houellebecqs verletzt. Nach der Veröffentlichung von "Plattform" scheinen sich die Vorwürfe noch in andere Richtung auszuweiten.


Durch antiklerikale Polemik geprägt, finden sich bei Houellebecq Aussagen wie: "Der Islam konnte nur im Stumpfsinn einer Wüste entstehen, inmitten dreckiger Beduinen, die nichts anderes zu tun hatten - entschuldigen Sie den Ausdruck -, als ihre Kamele zu ****en." Natürlich provoziert Houellebecq einmal mehr mit diesen Aussagen. Doch diesmal geht es dem französischen Autor vielleicht ernsthaft an den Kragen: Am 5. Februar soll er sich vor einem Pariser Gericht verantworten. Die muslimische Gemeinde Frankreichs wirft ihm "rassistische Äußerungen" vor. Angeklagt ist er wegen vermeintlichem Aufruf zu Religions- und Rassenhass.


Der Finger in der Wunde
Dieses Buch schlägt hohe Wellen, mehr als die bisherigen des "Enfant Terrible" Houellebecq. Daher, so scheint es, ist der Franzose erst einmal ein paar Monate vor der Öffentlichkeit abgetaucht. Man sagt, auch einige Freunde des Autors hätten in höchster Eile ihre Verbindungen zu ihm abgebrochen. Grund sei sein diesmal dann doch außerordentlicher Verstoß gegen die herrschende Political Correctness.


Houellebecq jedenfalls versteht es, seinen Finger in gesellschaftliche Wunden zu legen und Missstände mit extremer Schärfe beim Namen zu nennen. Dabei legt er schamlos eigene Hüllen des Selbstschutzes ab, verarbeitet in seinen Romanen seine eigene Depression, seine Sucht, die Alkohol- und Drogenexzesse sowie seinen Aufenthalt in der Psychiatrie. Michel Houellebecq im aspekte-Interview: "Wenn die Kritiker und Leser sagen würden: Das ist doch alles autobiografisch! Dann hat man es geschafft, dann ist man weit in der Schamlosigkeit gegangen! Und das ist doch gut so."
"Plattform" ist ein fiktiver Selbstentwurf. Keine Literatur zur Erbauung, sondern glänzend geschriebener Weltekel. Düster, obszön, aber schonungslos mit sich und der Welt.


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