Gepflegt alt werden unter Palmen
Mit deutscher Hilfe entsteht in Tunesien ein Netzwerk für ausgewanderte Ruheständler

Viele Rentner aus Deutschland und anderen europäischen Ländern nutzen das milde Klima im Winter für einen mehrmonatigen Aufenthalt in Tunesien. Und weit über tausend deutsche Frauen sind sogar für immer in dem kleinen Land in Nordafrika hängen geblieben. Die meisten von ihnen sind mit Tunesiern verheiratet. In Tunis und in Hammamet haben sie sich im Club Deutscher Frauen zusammengeschlossen. Und immer drängender diskutieren sie dort die Frage: Wer hilft uns im Alter in einem Land, in dem es bisher so gut wie keine Altenheime gibt? Jetzt sind deutsche Frauen gerade dabei, in diesem Land Strukturen für ihren Lebensabend zu schaffen.

Traditionell kümmern sich im islamisch geprägten Tunesien die Kinder um ihre Eltern. Sie tragen ganz selbstverständlich zu deren Unterhalt bei. Zudem wäre es undenkbar, einen Angehörigen im Krankenhaus sterben zu lassen. Die Schmach würde die ganze Familie über Generationen verfolgen. Die Ärzte achten deshalb darauf, todkranke Patienten rechtzeitig in den Schoß der Familie zu entlassen, wo sie von Angehörigen betreut und vom Arzt medizinisch versorgt werden. Eine Infrastruktur für eine unabhängige Versorgung und Pflege von alten Menschen fehlt.

Familie ist meist weit weg

Ganz anders sehen allerdings die Familienverhältnisse bei Mischehen mit europäischen Frauen aus. Die Kinder studieren fast immer im Ausland, binden sich dort beruflich und familiär, so dass sie die häusliche Pflege ihrer Eltern nicht mehr bewerkstelligen können. Doch auch die tunesische Gesellschaft verändert sich. Die Lebenserwartung ist seit den 60-er Jahren von 57 Jahren für beide Geschlechter auf rund 74 Jahre bei Männern und 76 Jahren bei Frauen gestiegen. Die Zahl der Kinder pro Familie ist im gleichen Zeitraum dank der Geburtenkontrolle von fünf bis sieben auf etwa zwei bis drei gesunken. Mehr als die Hälfte der stetig steigenden Zahl an akademischen Fachkräften sind Frauen, die auch rege in den Fachrichtungen Ingenieurwissenschaften und Informatik vertreten sind. Finanziell können sie den Eltern zwar eine wichtige Stütze sein, werden zugunsten ihrer Pflege aber kaum die Karriere opfern.

Kerstin Hess-Hammami, Vorsitzende des Frauenclubs in Hammamet, hat das Problem jetzt angepackt. Im März 2006 holte sie Petra Rupietta-Kis von der Arbeiterwohlfahrt International Bremerhaven zu einem Vortrag nach Tunesien. Thema: Altenpflege, Ambulante Dienste und Demenz im Alter. Die AWO Bremerhaven hat einschlägige Erfahrung mit Altenhilfe-Projekten im Ausland. Im Rahmen des Projektes Heimgarten wurden bereits in Kroatien, Bosnien, in der Türkei, im Iran und Irak, Pflegedienste und Altenheime für Rückkehrer, Flüchtlinge und Fremdarbeiter eingerichtet. Finanziell unterstützt wird das Projekt von der Europäisch-Mediterranen Entwicklungshilfe (MEDA).

Den deutschen Frauen in Tunesien geht es vorrangig um fachliche Unterstützung bei häuslicher Pflege und um den Aufbau ambulanter Pflegedienste. Als weitere Schritte stehen die Einrichtung von betreutem Wohnen, von Alten-WGs und einer privaten Beratungsstelle auf dem Programm. Tatsächlich stieß Petra Rupietta-Kis sowohl bei der Deutschen Botschaft in Tunis wie auch im tunesischen Gesundheits- und Familienministerium auf offene Ohren. Für das Interesse beider Staaten an einer Kooperation gibt es gute Gründe. Zum einen erwartet man die Rückkehr tunesischer Fremdarbeiter, die ihren Lebensabend in der Heimat verbringen wollen. Allein aus Deutschland sind es 32.000 Personen. Zum anderen könnte ein internationales Abkommen mit Tunesien und eine Förderung der Infrastruktur in Sachen Altenpflege die deutschen Sozialkassen beträchtlich entlasten. Schließlich würde beispielsweise ein Pflegeheimplatz hier im Vergleich zu Deutschland nur einen Bruchteil kosten.

Tunesisch-deutsche Gruppen im Aufbau

Die deutschen Frauen haben in Alifa Chaabane-Farouk, der Ombudsfrau für Frauenrechte im Islam, eine Mitstreiterin gefunden. Nun hoffen sie auch auf die Unterstützung der First Lady des Landes, Madame Laila Ben Ali. Mit Werbespots im Fernsehen hat sie immerhin schon erreicht, die Ausgrenzung von Behinderten in den Familien und in der Gesellschaft zu reduzieren. Der Club der Deutschen Frauen setzt auf einen ähnlichen Bewusstseinswandel in Sachen Alten- und ehrenamtliche Hilfe.

Einige Privatinitiativen, teils von tunesischen Heimkehrern, teils von in Tunesien lebenden Ausländern, befinden sich in der Plan- oder Realisierungsphase. Als nächster Schritt soll mit Hilfe von Madame Farouk eine ausgesuchte Gruppe tunesischer Frauen und Männer in Deutschland zu Ausbildern in Altenpflege geschult werden. Sie sollen als Multiplikatoren die Altenpflege an den Hochschulen ihres Landes aufbauen helfen.

Selbst wenn es den deutschen Frauen gelingt, Strukturen für eine funktionierende Altenpflege mit aufzubauen, ein Wermutstropfen bleibt: Die Pflegekosten für die in Tunesien lebenden Deutschen werden bis jetzt von den hiesigen Kranken- und Pflegekassen nicht übernommen, obwohl die Betroffenen ihre Beiträge weiterhin geleistet haben. Frankreich dagegen lässt seine Bürger nicht im Stich: Ein privat geführtes Altenheim in Rhadès bei Tunis wird von der französischen Regierung finanziell unterstützt.



Information

AWO Pflegedienste GmbH
Petra Rupietta-Kis Bütteler Straße 1,
27568 Bremerhaven
Telefon 0471 / 95 47-110
rupietta-kis@awo-bremerhaven.de

Madame Alifa Chaabane Farouk Médiateur
Administrateur
85 Ave. De la Liberté
1002 Tunis, Tunesien
Telefon 00216 / 71 / 78 13 84


Hier der Link: http://www2.sechs-und-sechzig.de/artikel.asp?art=395

Sorry Claudia - gerade entdeckt,daß Du den Artikel auch gelesen und oben eingestellt hast! Werde jetzt auch alt....
Aber ist ja auch interessant und für mich sehr erstaunlich, daß es in der Richtung schon was in TN gibt.

Last edited by Habiba50; 01/02/2007 20:14.

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