Zum Osterfest.

Quelle: Die Welt

Weltweite Verfolgung
Der hohe Preis der Christen für ihren Glauben

Vor dem Leid verfolgter Christen dürfen wir die Augen nicht verschließen. Sie kämpfen für Ideale, ohne die eine Gesellschaft nicht lebens- und liebenswert ist: Toleranz, Gerechtigkeit, Vergebung. Von Marie Wildermann

In letzter Minute konnte der 38-jährige Mehran aus dem Iran fliehen. Er stammt aus einer muslimischen Familie, war gut situiert, Inhaber eines Sportartikelgeschäfts im Zentrum von Teheran. Mit seinem armenischen Freund ging er häufig in die christliche Kirche, obwohl das für Muslime im Iran streng verboten ist.

Muslime, die zum Christentum konvertieren, gelten im Iran wie in vielen islamischen Ländern als Apostaten, die gemäß strenger Scharia (Link: http://www.welt.de/themen/scharia) -Auslegung den Tod verdienen. Mehran aber hörte christliche Predigten über Vergebung statt Rache, über Nächstenliebe statt Abgrenzung. Mit dem Islam konnte er immer weniger anfangen, die Einteilung der Welt in Gläubige und Ungläubige und die allgegenwärtige Gesinnungskontrolle fand er abstoßend.

Seine muslimische Frau betrachtete sein Interesse am christlichen Glauben als Verrat am Islam. Als sie es der Religionspolizei meldete, musste er Hals über Kopf das Land verlassen. Private Konflikte können in Diktaturen manchmal über Leben und Tod entscheiden.

Iran gehört zu den für Christen gefährlichsten Staaten der Welt. Teherans Gefängnisse sind voll mit Menschen, deren einziges "Vergehen" darin besteht, das Menschenrecht auf Religionsfreiheit in Anspruch genommen zu haben.

Der Wert der Religionsfreiheit

Nach einer lebensgefährlichen Flucht lebt Mehran heute in Deutschland. Sein Asylantrag (Link: http://www.welt.de/themen/asyl/) wurde anerkannt. Doch der Weg dahin war steinig. "Warum werden Sie nicht einfach wieder Moslem?" fragten deutsche Asylbeamte und Richter, und meinten es durchaus wohlwollend. Aber der Ratschlag für die zweckmäßige Lösung des Problems enthielt auch die Botschaft: Religion ist doch Privatsache und man kann sie auch im Verborgenen praktizieren. Warum sich so viele Schwierigkeiten einhandeln!

Mehran hätte wahrscheinlich nach offiziellem "Ich widerrufe" und Verbüßen einer Strafe in einem Iraner Gefängnis zurückkehren können in den Schoß der muslimischen Gemeinschaft. Er hat es nicht getan. Und bezahlt einen hohen Preis für seinen Glauben: Verlust der Familie, Verlust des Geschäfts, der Eigentumswohnung.

Mehran zitiert aus dem Evangelium: "Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien." Die wahre Heimat, sagt er, ist nicht hier auf der Erde. Das, was trägt im Leben und im Sterben, ist die Beziehung zum Schöpfer, Jesus gibt Orientierung. Hier in Europa kann Mehran diesen Glauben leben. Das ist für ihn von unschätzbarem Wert.

Wir Europäer haben nicht nur vergessen, dass die Religionsfreiheit zu den elementarsten Menschenrechten gehört, sondern auch, dass sie untrennbar verknüpft ist mit der Freiheit – der Gedanken-, Gewissens-, Meinungs- und Pressefreiheit.

Skandale, die die christliche Kirche in Europa und Nordamerika erschüttern, beeinträchtigen den christlichen Glauben in Afrika und Asien nicht. Dort wächst das Christentum, trotz Verfolgung. Die Christen, die unter widrigsten Umständen an ihrem Glauben festhalten, kämpfen nicht nur für sich selbst. Sie kämpfen für Ideale, ohne die eine Gesellschaft nicht lebens- und liebenswert ist: Toleranz, Empathie, Gerechtigkeit, Vergebung.

Fehlende Solidarität mit verfolgten Christen

Vergebungsbereitschaft – das ist auch für Obiora Ike, katholischer Priester im afrikanischen Nigeria, von zentraler Bedeutung. Und das, obwohl Christen in seinem Land fast wöchentlich Opfer von Terroranschlägen werden. Nigeria ist – nach Nordkorea, wo 70.000 Christen inhaftiert sind – das Land mit der schlimmsten Christenverfolgung im 21. Jahrhundert.

In den letzten zehn Jahren, so der Priester, sind etwa 13.000 Christen von der islamistischen Sekte Boko Haram und ihren Splittergruppen getötet (Link: http://www.welt.de/111768946) worden. Dennoch hat Ike, der in Deutschland studierte, sich immer für den Dialog mit dem Islam eingesetzt, selbst als er von Dschihadisten bedroht wurde.

Als Auftragskiller in seine Wohnung drangen und ihre Gewehre auf ihn richteten, sagte er: "Erschießt mich, ich habe keine Angst vor dem Tod, ich werde zu Gott gehen. Aber was ist mit euch?" Dass er den Islamisten anbot, für sie zu beten, verblüffte diese dermaßen, dass sie von ihm abließen.

Gegen den Boko-Haram-Terror, der schon seit langem Ableger in Mali, Niger und Kamerun habe, brauche es Anstrengungen auf vielen Ebenen, vor allem durch die Schaffung von gerechteren Strukturen und Beseitigung der Armut. Obiora Ike ist enttäuscht von den Europäern. "Die Europäer schlafen", sagt er und beklagt die fehlende Solidarität mit den verfolgten Christen.

Christen in kommunistischen Ländern

Und Verfolgung gibt es nicht nur in islamischen Staaten, auch in den kommunistischen Ländern werden unzählige Christen drangsaliert oder getötet. So hat auf Kuba der Arzt Oscar Elías Biscet zwölf Jahre im Gefängnis verbracht, weil er die Abtreibungspraktiken der kubanischen Behörden kritisiert hatte. Der Glaube gab ihm die Kraft, das langjährige Martyrium auszuhalten. Heute ist der Mediziner eine wichtige Stimme der kubanischen Opposition.

130 Millionen Christen, so die Schätzungen, gibt es heute in China und täglich kommen Tausende hinzu. Das rasante Wirtschaftswachstum hat eine gigantische Umweltzerstörung und ein großes Wertevakuum produziert. Die Gemeinschaft, die Chinas Christen in den Hauskreisen pflegen, die Solidarität und christliche Verantwortung füreinander – das ist besonders für junge Akademiker attraktiv. Gleichzeitig werden in China Menschenrechtsaktivisten und Blogger zu hohen Haftstrafen verurteilt und in Gefängnisse gesperrt, die jeder Beschreibung spotten.

Der nigerianische Priester hat Recht: Wann werden die Europäer endlich aufwachen? Wann werden wir begreifen, dass wir in Zeiten des Internets und der globalen Migrationsbewegungen die Augen nicht mehr verschließen können vor den Verletzungen grundlegender Menschenrechte?