09.12.2001 | 22:45
Das wahre Ende des Krieges?

Der pakistanische Schriftsteller Ahmed Rashid über die Zukunft nach den Gotteskriegern

Diese Bilder kennen wir, Bilder der Erschöpfung am Ende eines Krieges, einer Schreckensherrschaft. Die allein Schuldigen dafür meinen wir zu kennen, das Regime der Taliban, das Afghanistan in ein Pulverfass der Weltpolitik und zu einer Drehscheibe des internationalen Terrorismus verwandelt hat. Dass auch andere Mächte und Kräfte im Spiel waren, ahnen wir.
Diese Woche in Berlin. Der pakistanische Journalist Ahmed Raschid stellt sein Buch über Afghanistan vor. Lange vor dem 11. September entstanden, entwickelt es sich nun zum Weltbestseller, denn es beleuchtet nicht nur den Aufstieg der Taliban, sondern zeigt auch die fatalen Fehler und Versäumnisse des Westens auf. Die Warnung vor einer Eskalation, die sein Buch indirekt enthielt, wurde kaum wahrgenommen.

Ahmed Rashid, Schriftsteller:
Ich möchte der Bundesregierung und Außenminister Joschka Fischer meine Anerkennung dafür aussprechen, dass sie schon vor über einem Jahr zusammen mit England die Tragweite der Krise in Afghanistan begriffen und hinter den Kulissen begonnen haben, eine Friedenspolitik zu initiieren. Vor zwei Jahren habe ich vergeblich versucht, die Amerikaner vor einer gefährlichen Zuspitzung zu warnen, aber zu jenem Zeitpunkt haben sie nicht darauf gehört.

die Widersprüche der Amerikaner - von der Unterstützung der Taliban, die zur Instabilität in ganz Zentralasien führte, bis zur späten Gegnerschaft. Schlussfolgerungen nach der Katastrophe vom 11. September.

Ahmed Rashid, Schriftsteller:
Der Krisenherd Afghanistan und Zentralasien wurde ja von der Amerikanern völlig ignoriert; erst gegen Ende vergangenen Jahres sahen sie, wie eng die Verbindung zwischen Bin Laden und den Taliban geworden war, dass jetzt in Wahrheit Bin Laden die Politik der Taliban entschied. Doch für eine Kehrtwende wäre ein grundsätzlicher Wandel der amerikanischen Außenpolitik notwendig gewesen, eine Perspektive für die ganze Region, aber sie haben die Dringlichkeit dafür nicht gesehen.

Kurzsichtigkeit einer Politik, welche die Entwicklung der Taliban zu einem Terrorregime zu lange ignorierte. Aus heutiger Sicht wirken die Begründungen dafür fahrlässig. Man sah die Taliban in der Rolle von Erfüllungsgehilfen: sie sollten den Iran in Schach halten. Sie sollten einfach zusehen, wie der Westen den Kampf um die Ressourcen Zentralasiens für sich entschied; sie sollten den Bau von Öl- und Gaspipelines ermöglichen, ohne Beteiligung am wirtschaftlichen Ertrag. Ahmed Raschid fordert ein völliges Umdenken des Westens, etwas, was derzeit noch fast unmöglich scheint: eine Friedenspolitik für die ganze Region.

Ahmed Rashid:
Die Amerikaner müssen endgültig aufwachen und ihrer Verantwortung als Ordnungsmacht gerecht werden - angesichts dieses so großen Verlusts an Menschenleben in New York und Washington. Man hat die Sorge in Zentralasien, dass sich die Amerikaner wieder zurückziehen, wenn der Krieg vorbei ist. Der Neuaufbau Afghanistans ist dringend notwendig, es geht um eine Modernisierung, die es dem Land ermöglicht, sich der internationalen Staatengemeinschaft anzuschließen. Echtes Engagement und echte Anteilnahme sind erforderlich, nicht nur von amerikanischer Seite, sondern auch von Europa und anderen Ländern. Der Westen, die reichen Länder, müssen sich engagieren.




Aber werden der Fundamentalismus, der Hass, der Terror gegen den Westen wirklich ein Ende nehmen, wenn der Krieg in Afghanistan beendet ist? Müssen nicht endlich die muslimischen Länder, die unter Diktaturen leiden, selber Verantwortung übernehmen?

Ahmed Rashid:
Ich hoffe, dass die Krise in Afghanistan ein Erwachen der muslimischen Welt bewirkt, dass man beginnt, kritische Fragen zu stellen, zu realisieren, dass die eigenen Regime versagt haben, und wir aus dem Grund Figuren hervorbringen wie Usama bin Laden. Wir Muslime müssen dafür sorgen, dass unsere Regime sich endlich modernisieren.

Dass ausgerechnet die Bundesrepublik eine Vorreiterrolle bei einer neuen gesamteuropäischen Politik gegenüber Afghanistan einnimmt, war bislang nicht bekannt, wir sehen sie bedingungslos an der Seite Amerikas, auch nach der Bonner Friedenskonferenz.

Ahmed Rashid, Schriftsteller:
Ich nenne Ihnen einen der Gründe, weshalb vermutlich die Bundesregierung ihre neue Politik bislang nicht bekannt gemacht hat. Ja, sie hat während der vergangenen achtzehn Monate versucht, eine neue Politik Europas gegenüber den Taliban und Afghanistan zu initiieren. Aber sie haben dabei kaum Unterstützung gefunden. Die Amerikaner waren daran nicht interessiert, auch die anderen Länder Europas nicht; nur England und Deutschland versuchten, einen Wandel herbeizuführen. Beide Länder hätten ihre neue Außenpolitik deutlich artikuliert, wenn nicht die Attentate vom 11. September passiert wären, aber dadurch änderte sich die ganze Situation.

Noch ist der Krieg in Afghanistan nicht zu Ende, noch ist Bin Laden nicht gefasst. Ist da Optimismus überhaupt angebracht, ist eine friedliche Zukunft des Landes überhaupt vorstellbar, nicht nur Wunschdenken?

Ahmed Rashid, Schriftsteller:
Ich bin aus mehreren Gründen sehr optimistisch. Die afghanische Bevölkerung ist völlig erschöpft. In dem Moment, wo humanitäre Hilfe ins Land kommt und der Wiederaufbau beginnt, werden sich die Kräfte in der Gesellschaft regen und sie wird einen enormen Druck auf die Kriegsherren ausüben, den Konflikt zu beenden. Man will nicht mehr für die Warlords kämpfen, die haben das Problem, dass sie keine Soldaten mehr bekommen. Und noch ein wichtiger Grund für meinen Optimismus: diese Übergangsregierung ist seit 33 Jahren die erste legitime Regierung Afghanistans, die als Ergebnis eines Dialogs geschaffen wurde.

Ahmed Rashid
TALIBAN - Afghanistans Gotteskrieger und der Dschihad
ISBN: 3-426-27260-1
DM 38,92
Droemer

http://www.hr-online.de/fs/ttt/011209/rashid.html