20.09.2003:
Interview " Leider ist ein Politikum entstanden"
Fereshta Ludin über den "Kopftuchfall", die Medien und ihre Erfahrungen eine "öffentliche" Person zu werden

Eigentlich wollte Sie nur Lehrerin werden... . Kurz vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe haben wir Fereshta Ludin in Berlin getroffen. Nun gibt es auch für muslimische Frauen wichtigeres als ein Tuch - dennoch hat uns interessiert wie die Bilanz dieses Falles für Frau Ludin - unabhängig wie die Entscheidung ausfällt - aussieht. Der Rechtsstreit polarisiert und wurde für beide Seiten zur Glaubensfrage, zwischen Berufsverbot und Emanzipation, Laizismus und gesellschaftlicher Offenheit. Der Fall Ludin - so sehen dies zumindest viele Muslime - wird eine wichtige Signalwirkung zugesprochen, denn zur Entscheidung steht nicht zuletzt auch, ob der ausdrückliche Gottesbezug des Grundgesetzes weiter sichtbare gesellschaftliche Akzeptanz findet.

Islamische Zeitung: Frau Ludin, Sie sind ja zu einer öffentlichen, beinahe schon politischen Figur geworden. Inwieweit war das beabsichtigt?

Fereshta Ludin: Beabsichtigt war das bestimmt nicht, denn es ging bei dem Verfahren darum, dass ich in den Schuldienst übernommen werden wollte, nachdem ich mein zweites Staatsexamen als Grund- und Hauptschullehrerin absolviert hatte. Ich rege mich schon manchmal darüber auf, dass durch das Tuch meine gesamte Person so bekannt „gemacht“ wurde. Wenn ich etwas Besonderes leisten würde, dann wäre dieses Aufbauschen ja noch irgendwo nachvollziehbar gewesen. Am Anfang wurde die Angelegenheit ohne mein Zutun in die Öffentlichkeit getragen, nachdem ein Artikel über die Auseinandersetzung zwischen mir und dem Oberschulamt bzw. dem Lehrerseminar veröffentlicht wurde. Sie sollten mir eine Schule zuteilen, für deren Leitung das Kopftuch dann ein Problem darstellte, was die Medien aufgegriffen. Danach verselbstständigte sich alles.

Islamische Zeitung: Was für eine Art Erfahrung war dies am Ende, eine positive oder eine negative?

Fereshta Ludin: In Schwäbisch Gmünd war es eine sehr negative. Wochenlang hat bei mir das Telefon den ganzen Tag geklingelt, da meine Anschriftsdaten frei zugänglich waren. Für mich wie auch für meine Familie war das der reinste Horror und dementsprechend sehr belastend. Unter anderem bekam ich anonyme Drohbriefe an die Schule geschickt. Das Ganze ging soweit, dass ich auch auf meinem Weg zur Schule von der Presse verfolgt wurde und Journalisten unangemeldet vor meiner Haustür standen . Dabei wurden zum Teil Drohungen von diesen Journalisten ausgesprochen, im Falle der Verweigerung einer Stellungnahme meinerseits "alles aufdecken" zu wollen. Ich frage mich nur was, und so ließ ich mich auch nicht ein auf solche Erpressungsversuche.

Islamische Zeitung: Eine der "Aufdeckerinnen" ist ja Alice Schwarzer, die zu Hause eine Art "Akte" über Sie angelegt hat.

Fereshta Ludin: Die Informationen, die Frau Schwarzer versucht mühsam zu verbreiten sind entweder zum Teil absolut falsch oder sie sind so entstellt, so dass es in das Schema passt, das sie von ihrer „Fereshta Ludin“ hat. Ich bin ihr nie begegnet und habe nie mit ihr ein Telefonat geführt, wobei sie letzteres jedoch laut Presse felsenfest behauptet. Damit versucht sie sich in der Presse als Ludin-Expertin zu verkaufen, um sich so für ihre Zwecke Gehör zu verschaffen. Ein solcher, sehr stark von Vorurteilen behafteter Umgang mit mir als Frau und Mensch empfinde ich als verantwortungslos und fragwürdig. Besonders deshalb, weil sie ja eine wichtige Figur in der Frauenemanzipationsbewegung in Deutschland ist.

Islamische Zeitung: Es gab ja die berühmte Einlassung von Alice Schwarzer im "SPIEGEL", die ja groteskerweise in derjenigen Ausgabe erschien, in der das Nachrichtenmagazin über eigentlich schwerwiegendere soziale Probleme [Anm. der Red.: Prostitution von Osteuropäerinnen in Deutschland] berichtete. Gab es da einen Versuch Ihrerseits, sich zu wehren?

Fereshta Ludin: Ich habe versucht, eine Gegendarstellung einzubringen und auch um deren Veröffentlichung gebeten, was abgelehnt wurde. Mehr als das kann ich natürlich nicht machen. Ich habe versucht, meine Gegendarstellung an andere Zeitungen zu geben, von denen allerdings nur wenige und auch dann nur auszugsweise zitierten.

Islamische Zeitung: Gab es in diesem Fall so etwas wie Interesse und Solidarität von Seiten nichtmuslimischer Frauen?

Fereshta Ludin: Eher im privaten Bereich. Das habe ich im Laufe des Rechtsstreits sehr vermisst, aber das hat nicht nur von Seiten der Frauen gefehlt, sondern z.B. auch von anderen Glaubensgemeinschaften, von denen zu wenig Stellung bezogen wurde. Denn in diesem Rechtsstreit geht es nicht nur ums Kopftuchtragen als Lehrerin, sondern konsequenterweise auch um das Tragen der Kipa, von Kreuzkettchen um den Hals etc.

Islamische Zeitung: Nun wird ja auch versucht, den Eindruck zu erwecken, als würden engagierte muslimische Männer Sie als Symbol für den Islam in Deutschland benutzen. Haben Sie das jemals so gesehen?

Fereshta Ludin: Ich kann das so nicht sehen, da ich alles für mich selbst entschieden habe, und das schon immer. Den ersten Schritt, vor das Verwaltungsgericht zu gehen, habe ich eigenständig entschieden, genauso wie jeden weiteren Schritt durch die folgenden Instanzen. Derartige Vorwürfe sind ungerecht, da aus der Luft gegriffen und unsachgemäß. Es wird sehr oft versucht zu behaupten, dass ich als muslimische Frau durch mein Tuchtragen automatisch ein Instrumentarium des Mannes und unterdrückt bin. Es wird damit auch versucht zu behaupten, dass ich selbst also gar nicht in der Lage bin, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Wer spricht mir hier also tatsächlich meine Eigenständigkeit ab. Jene muslimischen Männer? Es ist traurig, aber leider werde ich immer wieder mit solchen Vorstellungen konfrontiert. Leider kann mein Fall nicht nur von Islamisten missbraucht werden, sondern in gleichem Maße z.B. auch von Laizisten für deren politische Absichten. Ich kann für mich sagen, dass ich mich von diesen politischen Bewegungen immer distanziert habe.

Islamische Zeitung: Gab es von Seiten der Muslime eine breite Unterstützung?

Fereshta Ludin: Es gab Unterstützung, als ich selbst darum gebeten habe. Zu Beginn war die Sache ja nicht bekannt, also gab es nur Hilfe aus meinem persönlichen Bekanntenkreis. Zu Beginn der Verfahren habe ich gesehen, dass ich diesen Rechtsstreit alleine, ohne die Unterstützung der muslimischen Glaubensgemeinschaft nicht schaffen könnte, rein finanziell gesehen. Deshalb bin ich z.B. an Gewerkschaften und den Zentralrat der Muslime herangetreten, nicht umgekehrt. Von Anfang bis zum heutigen Tage ist nichts passiert, bei dem ich nicht selbst die Entscheidung getroffen habe, was wie läuft.

Islamische Zeitung: Nun stehen wir ja relativ kurz vor dem finalen Urteil in dieser ganzen Geschichte. Was wird dieses Urteil für Sie bedeuten?

Fereshta Ludin: Ganz klar ist, dass mir eine erhebliche Diskriminierung widerfahren ist. Ich habe meine Ausbildung beendet und sie gut geschafft und durfte dann, nur weil ich ein Kopftuch trage, nicht arbeiten. Wenn das Urteil positiv ausfällt, dann ist das eine Bestätigung dafür, dass die demokratischen Gesetze, dass Berufs- und Glaubensfreiheit Wirklichkeit und Praxis sind und nicht nur auf dem Papier stehen. Es wäre auch dahingehend ein wichtiges Signal, dass Toleranz nicht mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen werden darf, dass ich als muslimische Frau und Lehrerin nicht meine Identität verleugnen muss und aber gleichzeitig Kindern in der Schule Toleranz und demokratische Werte vermittle. Abgesehen davon hätte ich nach einem positiven Urteil später die Möglichkeit, jederzeit an einer anderen als meiner derzeitigen Schule zu arbeiten. Meine beruflichen Gestaltungsmöglichkeiten wären in der Zukunft damit viel offener.

Islamische Zeitung: Es scheint, dass diese ganze Frage nach dem Kopftuch von Außen sehr stark ins Politische verfrachtet wurde und so das Kopftuch ausschließlich als politisches Symbol betrachtet wird. Man kann natürlich genauso gut die gesellschaftliche Bedeutung in ganz andere Bereiche legen, z.B. als Zeichen dafür, dass sich muslimische Frauen gegen die Sexualisierung der Gesellschaft wenden möchten oder das Kopftuch als religiöse Handlung verstehen. Wie kann man das Bild des Kopftuches ändern?

Fereshta Ludin: Ganz klar, indem Frauen sich zeigen. Wir gehören zu dieser Gesellschaft und dürfen uns nicht verstecken, sondern müssen raus gehen und uns am öffentlichen Leben beteiligen. Das Kopftuch ist ja kein Mittel zum Verstecken, sondern vielmehr ein Bedecken der Frau. Ich finde es sehr bedauerlich, dass mir diese ganzen Vorurteile in den letzten Jahren des Rechtsstreits von der anderen Seite entgegen gebracht wurden. Ich will einfach wie jede andere Frau auch die Gelegenheit haben, meinen Beruf auszuüben und am gesellschaftlichen Leben zu partizipieren. Nur möchte ich dies eben als bedeckte Frau. Ich möchte aber nicht ein Leben führen als versteckte Frau.

Islamische Zeitung: Wenn Sie am Anfang gewusst hätten, wie das Ganze verläuft, bereuen Sie den Gang vor die Gerichte?

Fereshta Ludin: Was mein Rechtsempfinden betrifft, auf keinen Fall! Umgekehrt wäre es der Fall gewesen. Hätte ich nicht gehandelt, hätte mich die Sache nie losgelassen und ich hätte vermutlich viel stärker darunter gelitten diese schwerwiegende Ungerechtigkeit hinzunehmen. Sehr belastend empfinde ich gleichzeitig aber schon, dass ein Politikum daraus entstanden ist, von dem wieder andere belastet sind, und dass es dadurch leider nie möglich war, dieses „Problem“ auf einer menschlich-gesellschaftlichen Ebene zu lösen.

Islamische Zeitung: In diesem ganzen Kontext wird ja auch die Frage nach der Emanzipation und muslimischen Feministinnen gestellt, die ja nicht aus der Denklogik und Terminologie des Islams heraus stammt. Was lösen diese Begriffe bei Ihnen aus?

Fereshta Ludin: Ich würde sagen, Emanzipation ist das Recht einer Frau auf Selbstbestimmung, unabhängig davon, ob sie ein Kopftuch trägt oder nicht. Es herrscht leider Gottes dieses Vorurteil, dass muslimische Frauen, alleine dadurch, dass sie ein Tuch tragen, unterdrückt seien. Wenn dies auf mich zuträfe, warum sollte ich dann einen Beruf ergreifen wollen, um mich auf diese Weise in die Gesellschaft einzubringen. Man kann das Verständnis von Emanzipation nicht an einem Zuwenig oder Zuviel an Bekleidung festmachen. Emanzipation geschieht im Kopf, ist eine geistige Haltung.

Islamische Zeitung: Sehr geehrte Frau Ludin, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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