ISLAM

Keine Huris im Paradies

TEIL 3
Christoph Luxenberg bricht radikal mit solcher Genügsamkeit. Er schätzt die dunklen Stellen mittlerweile auf etwa ein Viertel des gesamten Koran-Textes. Je genauer er nämlich – ohne sich durch „Gewöhnung“ ans Unverständliche zu beruhigen – auf den vertrauten Text schaut, umso fremder schaut jener zurück. Luxenberg wirft dabei nicht mutwillig das Wissen der Tradition über Bord. Zunächst sieht er im Tafsir nach, ob sich für seltsame Stellen, Redewendungen oder Worte eine befriedigende Deutung findet. Dann nimmt er den Lisan zur Hand, das klassische Hauptwörterbuch der arabischen Sprache. Erst wenn diese beiden Quellen versagen, versucht Luxenberg seine eigene, die syro-aramäische Lesart.

War die arabische Welt vor Mohammed christianisiert ?

Und so ist er auch auf die Lösung des Jungfrauen-Rätsels gekommen. Die berühmten Passagen über die vermeintlichen Huris bauen auf dem Wort hur auf, einem Adjektiv im weiblichen Plural , das im Arabischen lediglich „weiße“ bedeutet. Die arabischen Kommentatoren haben postuliert, dass sich dieses Adjektiv auf „weißäugige“ Jungfrauen beziehen müsse. Luxenberg zeigt nun, dass diese Deutung nichts als Mutmaßung und Wunschdenken ist und dass sie zu inneren Unstimmigkeiten mit anderen Aussagen des Korans über das Paradies führt. Den Gottesfürchtigen wird nämlich an anderer Stelle versprochen, dass sie im Jenseits mit ihren irdischen Gattinnen zusammengeführt werden, um mit ihnen „im Schatten auf Teppichen“ zu lagern. Gattinen und Huris zusammen ? Ein Ort, an dem Ehefrauen und Gespielinnen aufeinander treffen, verdient wohl kaum den Namen Paradies. Im Rückgang auf aramäische Quellen lässt sich das Problem lösen: Das Wort hur bezieht sich auf die „weißen Trauben“, typische Paradiesfrüchte der christlich-syrischen Literatur.

Dass aramäische Lehnwörter im Koran vorkommen, ist für sich genommen keine Neuigkeit. Das Wort Koran (qur’an) selbst wird heute weithin als Ableitung vom Aramäischen qeryana betrachtet, was ein „Lektionar“ bezeichnet, ein liturgisches Buch mit Zitaten aus der Heiligen Schrift, Gebeten und dergleichen. Der Einfluss des Aramäischen auf die Koran-Sprache geht aber nach Luxenberg viel weiter. Luxenberg erkennt christlich-syrische Elemente in vielen Suren aus der mekkanischen Periode – Anspielungen auf den Petrus-Brief etwa oder gar auf die Abendmahlsliturgie.

Der Koran enthält in seinen ältesten Partien eine ansehnliche christliche Textschicht. Luxenberg kommt zu dem Schluss, diese Texte bildeten einen „Grundstock, aus dem der Koran als christlich-liturgisches Buch urspünglich bestand“. Das hieße, der Koran hätte in seinen ältesten Elementen nicht den Anspruch, die jüdische und die christliche Verkündigung zu ersetzen und zu überbieten, sondern sie den Arabern nahe zu bringen. Diese starke These wirft spannende Fragen für die Religionshistoriker auf: War Arabien vor Mohammed, war Mekka zumindest gar nicht so heidnisch geprägt, wie die islamische Tradition behauptet, sondern vielmehr bereits stark christianisiert?

Ob diese Schlüsse Luxenbergs Bestand haben werden, muss sich im Fortgang der Fachdebatte zeigen. Fest steht: Das syrisch-christlich geprägte Aramäische war zur Zeit des Propheten die gebildete Weltsprache des Vorderen Orients. Das Hocharabische hingegen und die klassische arabische Schrift entstanden erst später. Die Araber verfügten zunächst nur über ein „defektives“ System zur schriftlichen Aufzeichnung, eine Art Stenografie, die keine Zeichen für kurze Vokale kannte und auch noch nicht die diakritischen Zeichen – jene Punkte und Häkchen, mit denen später die Konsonanten eindeutig festgelegt wurden. Ein Buchstabe der ursprünglich 18 Zeichen umfassenden Schrift konnte bis zu fünf verschiedene Laute bezeichnen. Das System war äußerst vieldeutig und anfällig für Fehllektüren. Die spätere Festlegung durch die diakritischen Zeichen bedeutete darum oft auch eine inhaltliche Festlegung – mithin eine Interpretation.