ISLAM

Keine Huris im Paradies


TEIL 4
Gerd-Rüdiger Puin von der Universität des Saarlandes, ein Experte für koranische Kalligrafie, ist überzeugt, dass Luxenberg auf dem richtigen Weg ist. Seine eigenen Forschungen stützen dessen Thesen. Puin hat die ältesten bisher gefundenen Koran-Fragmente untersucht, teils nur 50 Jahre nach dem Tod des Propheten verfasst, die bei Bauarbeiten in der großen Moschee von Sanaa im Jemen gefunden wurden. Als Puin die Funde restaurierte, stieß er auf bedeutende Abweichungen vom späteren, offiziellen Text. Für viele Generationen – das beweisen die Fragmente – blieb der Koran-Text in Bewegung. Die Frühgeschichte sei neu zu schreiben, sagt Puin, „weite Teile des Korans müssen neu gelesen werden“. Der Koran sei ein „Cocktail von Texten“.

Die Fragmente von Sanaa geben einen neuen Einblick in seine Rezeptur. Sie weisen eine Reihe von aramäischen Wörtern auf, die in der rudimentären Schrift der Zeit von arabischen Wörtern nicht zu unterscheiden sind.

Aramäisch und Arabisch sind so genannte Nahsprachen. Sie teilen sich eine Fülle von Wörtern mit gleicher Schriftgestalt, aber unterschiedlicher Bedeutung, ähnlich wie etwa die germanischen Sprachen (anbellen bedeutet in Amsterdam „klingeln“). Während der folgenden 100 Jahre, so Puin, erfolgte dann meist eine Festlegung des Sinns in Richtung des Arabischen.

Verschiedene Gründe für diese Entwicklung sind denkbar. Durch die Expansion des arabischen Imperiums wurde Arabisch zur Lingua franca des Nahen Ostens, während das Aramäische in Bedeutungslosigkeit versank und unverständlich wurde. Die späteren Redakteure, die das endgültige Textkorpus des Korans schufen, mussten auch jenen Passagen einen Sinn geben, die sie nicht mehr verstanden. Es mag auch sein, die Aramäismen bewusst arabisierte, um dem werdenden Großreich eine rein arabische Religion und Sprache zu schaffen, in der fremde Einflüsse unkenntlich gemacht wurden.

Die biblische Textkritik als Vorbild für die Koran-Forschung

Indem Luxenberg diesen Prozess wie ein Detektiv Stück um Stück rückgängig macht, holt er den Koran zurück in den Kontext des religiös so überaus kreativen Milieus seiner Entstehungsregion, in die monotheistische Ursuppe des Nahen Ostens. Patricia Crone, die in Princeton Islam-Wissenschaft lehrt, glaubt zwar auch, dass Luxenbergs Werk „sich als sehr wichtig erweisen wird“, macht sich aber keine Illusionen über den Widerstand, den dieser Ansatz auslösen muss: „Wer möchte im heutigen Klima schon den Koran anrühren? Man beleidigt die Muslime, ganz gleich, was man darüber sagt.“ Stefan Wild von der Universität Bonn, der zu Luxenberg eher kritisch steht, meint, dass schon „viel weniger radikale Annahmen von Parallelen zwischen Koran, Altem Testament und Neuem Testament auf größtes Misstrauen seitens der muslimischen Gelehrten stoßen“. Wild sieht „die Verständigung zwischen muslimischer und nichtmuslimischer Koran-Forschung in höchstem Maße gestört“.


Das mag sein. Aber eine gestörte Kommunikation kann man nicht dadurch reparieren, dass man über Unliebsames erst gar nicht spricht. Wer die andere Seite vor bestimmten Argumenten bewahren zu müssen glaubt, bevormundet sie und hat die Idee einer wirklichen Verständigung schon aufgegeben. In manchen islamistischen Internet-Foren versucht man Luxenberg mit dem Vorwurf zu erledigen, er wolle den Muslimen das Heiligste nehmen. Das ist ein durchsichtiges Manöver. Unterschlagen wird dabei, dass Luxenbergs Werk nicht nur eine Pointe für die Muslime, sondern auch für die Christen hat. Auch sie werden gezwungen, im vermeintlich anderen das Fortleben der eigenen Tradition zu erkennen – und zwar ohne das übliche Kulturdialog-Gequatsche, nur mit den Mitteln der Philologie.